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Gerhard Ritter:
Universalien diesen Erörterungen von Anfang an gleichgeordnet;
jedenfalls entspricht diese Verschiebung ihrer (von Prantl behaup-
teten) Neigung, diejenigen Teile der Logik, die den „realen“ Diszi-
plinen näher standen, stärker zu betonen.
Im weiteren Verlaufe des Studienganges ist von einem Unter-
schiede zwischen der Ordnung der beiden Schulen nicht mehr die
Rede; das Organon wird nach Aristoteles durchgenommen; die
Bakkalare hören beiderseits (und das scheint mir sehr bemerkens-
wert) die in der historischen Literatur gewöhnlich als „moderne
Zusätze zu Petrus Hispanus“ bezeichneten Traktate über obliga-
ioria et insolubilia, in denen die sophistische Spitzfindigkeit der
spätscholastischen Logik ihren Gipfel erstieg. Die via moderna legt
auch hier die entsprechenden Abhandlungen des Marsilius von
Inghen zugrunde, ihrer Gegenpartei ist die Benutzung irgend eines
andern Autors freigestellt. Die ganze Angelegenheit rückt erst dann
in die richtige Beleuchtung, wenn man beachtet, daß die genannten
beiden Traktate in der ältesten Fassung der Heidelberger Statuten
(um 1390) noch nicht zu den Pflichtfächern der studierenden Bak-
kalare gehörten; erst ein späterer (nicht datierbarer) Zusatz ver-
langte ihre Erledigung, „falls sie gelesen würden“1. Statt dessen
hatte man damals das Studium „einiger ausgewählter, aber voll-
ständig, nicht bloß teilweise gehörter mathematischer Bücher“
verlangt; ein jüngerer Zusatz hatte die latitudines formarum, yco-
nomica, politica, proporciones — also die mathematischen und
politisch-ökonomischen Lieblingsfächer der Pariser Schule, ins-
besondere des Nikolaus von Oresme, hinzugefügt. In den Statuten
von 1501 ist von alledem nicht mehr die Rede; man begnügt sich
mit der Lektüre der ersten Bücher des Euklid, „falls sie gelesen
werden.“ Es ist nicht gerade ein grundsätzlicher Unterschied zwi-
schen den beiden Fassungen, aber man spürt doch die Verschie-
bung der Interessen deutlich heraus: früher schlossen die logischen
Studien mit dem Bakkalariatsexamen vollständig ab; die Vor-
bereitung der Bakkalare auf den Magistergrad galt ausschließlich
den „realen“ Disziplinen: Physik, Mathematik, Astronomie, Psy-
chologie, Ethik und Metaphysik2. Ein Jahrhundert später hat sich
1 U. B. I, p. 38, Z. 25.
2 Das entspricht durchaus dem Geiste der Pariser Traditionen des
14. Jhd.s, wie sie sich unter Anpassung an das System der aristotel. Philo-
sophie (im Gegensatz zu der älteren Lehrverfassung' der 7 artes liberales)
herausgebildet hatten. Entsprechend ließen die Dominikaner in ihren Ordens-
Gerhard Ritter:
Universalien diesen Erörterungen von Anfang an gleichgeordnet;
jedenfalls entspricht diese Verschiebung ihrer (von Prantl behaup-
teten) Neigung, diejenigen Teile der Logik, die den „realen“ Diszi-
plinen näher standen, stärker zu betonen.
Im weiteren Verlaufe des Studienganges ist von einem Unter-
schiede zwischen der Ordnung der beiden Schulen nicht mehr die
Rede; das Organon wird nach Aristoteles durchgenommen; die
Bakkalare hören beiderseits (und das scheint mir sehr bemerkens-
wert) die in der historischen Literatur gewöhnlich als „moderne
Zusätze zu Petrus Hispanus“ bezeichneten Traktate über obliga-
ioria et insolubilia, in denen die sophistische Spitzfindigkeit der
spätscholastischen Logik ihren Gipfel erstieg. Die via moderna legt
auch hier die entsprechenden Abhandlungen des Marsilius von
Inghen zugrunde, ihrer Gegenpartei ist die Benutzung irgend eines
andern Autors freigestellt. Die ganze Angelegenheit rückt erst dann
in die richtige Beleuchtung, wenn man beachtet, daß die genannten
beiden Traktate in der ältesten Fassung der Heidelberger Statuten
(um 1390) noch nicht zu den Pflichtfächern der studierenden Bak-
kalare gehörten; erst ein späterer (nicht datierbarer) Zusatz ver-
langte ihre Erledigung, „falls sie gelesen würden“1. Statt dessen
hatte man damals das Studium „einiger ausgewählter, aber voll-
ständig, nicht bloß teilweise gehörter mathematischer Bücher“
verlangt; ein jüngerer Zusatz hatte die latitudines formarum, yco-
nomica, politica, proporciones — also die mathematischen und
politisch-ökonomischen Lieblingsfächer der Pariser Schule, ins-
besondere des Nikolaus von Oresme, hinzugefügt. In den Statuten
von 1501 ist von alledem nicht mehr die Rede; man begnügt sich
mit der Lektüre der ersten Bücher des Euklid, „falls sie gelesen
werden.“ Es ist nicht gerade ein grundsätzlicher Unterschied zwi-
schen den beiden Fassungen, aber man spürt doch die Verschie-
bung der Interessen deutlich heraus: früher schlossen die logischen
Studien mit dem Bakkalariatsexamen vollständig ab; die Vor-
bereitung der Bakkalare auf den Magistergrad galt ausschließlich
den „realen“ Disziplinen: Physik, Mathematik, Astronomie, Psy-
chologie, Ethik und Metaphysik2. Ein Jahrhundert später hat sich
1 U. B. I, p. 38, Z. 25.
2 Das entspricht durchaus dem Geiste der Pariser Traditionen des
14. Jhd.s, wie sie sich unter Anpassung an das System der aristotel. Philo-
sophie (im Gegensatz zu der älteren Lehrverfassung' der 7 artes liberales)
herausgebildet hatten. Entsprechend ließen die Dominikaner in ihren Ordens-