Studien zur Spätscholastik. II.
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Bewegung war das (in Deutschland unabhängig von Italien) ent-
standene Bedürfnis der durch die sozialen und politischen Ver-
hältnisse emporgekommene Volksklassen, an der kirchlichen Kultur
der Gegenwart persönlich teilzunehmen und sich freizumachen von
der Bevormundung durch die Geistlichkeit.“ (Allerdings sollen die
Geistlichen bei der Verbreitung dieser Laienbildung gleichwohl
stark beteiligt gewesen sein.) Hauptträger dieser neuen Bildung
sei einerseits die „Brüderschaft vom gemeinsamen Leben“, ander-
seits das Bürgertum der süddeutschen Städte gewesen. Auf den
Universitäten aber sei die neue Bewegung von den Trägern der
kirchlichen Reform innerhalb der kirchlichen Wissenschaft, d. h.
von den Vertretern der via antiqua aufgenommen und am stärksten
gefördert worden.
Die Geschichte der Renaissance und des Humanismus ist von
jeher das dankbarste Tummelfeld für ideenreiche Konstrukteure
gewesen. Der überaus komplexe Charakter der mit diesen Kennwor-
ten bezeichneten geschichtlichen Erscheinungen begünstigt die Ent-
faltung kombinierender Phantasie in besonderem Maße. Die „Re-
naissance“ und der „Humanismus“ gehören deshalb zu den ver-
schwommensten Begriffen der historischen Terminologie überhaupt.
Wenn irgendwo, so ist hier fruchtbare Arbeit nur möglich, wenn
man vor aller an sich gewiß notwendigen Kombination das Wesens-
verschiedene reinlich auseinanderhält. Sicherlich ist es ein frucht-
bares Unternehmen, den besondern geistigen Nährboden zu unter-
suchen, auf dem die Saat des deutschen Humanismus später auf-
ging. Wenn sich dabei heraussteilen sollte — die Frage kann hier
nicht untersucht werden —, daß die mannigfaltigen kirchlichen
Reformbestrebungen des 15. Jahrhunderts und insbesondere die
kirchliche Laienkultur direkt oder mindestens vorbereitend bei der
Entstehung der humanistischen Bewegung mitgewirkt haben, so
würde das eine sehr wesentliche Hilfe für die Erklärung der reli-
giösen Tendenzen bilden, die im deutschen Humanismus so beson-
ders lebendig sind. Aber Humanismus und kirchliche Laienkultur
darf man nicht ohne weiteres gleichsetzen1. Der Humanismus hat
gewiß in Deutschland Formen angenommen, die seine Verwandt-
1 Sehr deutlich wird das ausgesprochen und belegt durch Lindeboom,
Het Bijbelsch Humanisme in Nederland (Leiden 1913) p. 39/40. Ich selber
habe mich zu diesen Fragen ausführlicher geäußert in einem Aufsatz über
„Die geschichtliche Bedeutung des deutschen Humanismus“, der demnächst
in der „Historischen Zeitschrift“ erscheinen wird.
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Bewegung war das (in Deutschland unabhängig von Italien) ent-
standene Bedürfnis der durch die sozialen und politischen Ver-
hältnisse emporgekommene Volksklassen, an der kirchlichen Kultur
der Gegenwart persönlich teilzunehmen und sich freizumachen von
der Bevormundung durch die Geistlichkeit.“ (Allerdings sollen die
Geistlichen bei der Verbreitung dieser Laienbildung gleichwohl
stark beteiligt gewesen sein.) Hauptträger dieser neuen Bildung
sei einerseits die „Brüderschaft vom gemeinsamen Leben“, ander-
seits das Bürgertum der süddeutschen Städte gewesen. Auf den
Universitäten aber sei die neue Bewegung von den Trägern der
kirchlichen Reform innerhalb der kirchlichen Wissenschaft, d. h.
von den Vertretern der via antiqua aufgenommen und am stärksten
gefördert worden.
Die Geschichte der Renaissance und des Humanismus ist von
jeher das dankbarste Tummelfeld für ideenreiche Konstrukteure
gewesen. Der überaus komplexe Charakter der mit diesen Kennwor-
ten bezeichneten geschichtlichen Erscheinungen begünstigt die Ent-
faltung kombinierender Phantasie in besonderem Maße. Die „Re-
naissance“ und der „Humanismus“ gehören deshalb zu den ver-
schwommensten Begriffen der historischen Terminologie überhaupt.
Wenn irgendwo, so ist hier fruchtbare Arbeit nur möglich, wenn
man vor aller an sich gewiß notwendigen Kombination das Wesens-
verschiedene reinlich auseinanderhält. Sicherlich ist es ein frucht-
bares Unternehmen, den besondern geistigen Nährboden zu unter-
suchen, auf dem die Saat des deutschen Humanismus später auf-
ging. Wenn sich dabei heraussteilen sollte — die Frage kann hier
nicht untersucht werden —, daß die mannigfaltigen kirchlichen
Reformbestrebungen des 15. Jahrhunderts und insbesondere die
kirchliche Laienkultur direkt oder mindestens vorbereitend bei der
Entstehung der humanistischen Bewegung mitgewirkt haben, so
würde das eine sehr wesentliche Hilfe für die Erklärung der reli-
giösen Tendenzen bilden, die im deutschen Humanismus so beson-
ders lebendig sind. Aber Humanismus und kirchliche Laienkultur
darf man nicht ohne weiteres gleichsetzen1. Der Humanismus hat
gewiß in Deutschland Formen angenommen, die seine Verwandt-
1 Sehr deutlich wird das ausgesprochen und belegt durch Lindeboom,
Het Bijbelsch Humanisme in Nederland (Leiden 1913) p. 39/40. Ich selber
habe mich zu diesen Fragen ausführlicher geäußert in einem Aufsatz über
„Die geschichtliche Bedeutung des deutschen Humanismus“, der demnächst
in der „Historischen Zeitschrift“ erscheinen wird.