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Gerhard Ritter:
schaft mit dem Geiste der italienischen Renaissance in extremen
Fällen fast unkenntlich machten. Aber wenn man mit dem Worte
überhaupt noch einen Begriff verbinden will, der mehr besagt, als
spätmittelalterliche Laienbildung als solche, dann muß man doch
ein bestimmtes Unterscheidungsmerkmal festhalten, das ihm von
seinem historischen Ursprung her dauernd aufgeprägt blieb: sein
natürliches, von Hause aus ihm innewohnendes Bestreben auf Er-
neuerung antiker, nicht mittelalterlich-christlicher Bildung. Das
darf durch theologische Geschichtschreibung nicht verdunkelt wer-
den. In dem Kopfe des einzelnen Humanisten kann dieses natür-
liche Bestreben in sehr mannigfache Kombinationen der geistigen
Interessen eintreten. Es kann hinter anderen — in Deutschland
besonders häufig hinter religiösen und theologischen — Interessen
unter Umständen so stark zurücktreten, daß es psychologisch als
sekundäres Moment, der kirchliche Einschlag der Bildung als das
weitaus Wichtigere erscheint. Aber darum ist humanistische Bil-
dung noch nicht kirchliche Bildung, sondern gegenüber den spezi-
fisch christlichen Interessen etwas Neutrales, wenn nicht Gegen-
sätzliches. Diese humanistische Bildung kann in erklärten Wider-
spruch zum Christentum treten; das kommt in Deutschland kaum
vor, obwohl auch hier der Typus des religiös gleichgültigen
Poeten (von Peter Luder bis zu Konrad Mutian) nicht fehlt.
Sie kann auf der anderen Seite geradezu in den Dienst kirchlicher,
ja scholastischer Bildungsinteressen gestellt werden; dann haben
wir den in Deutschland überaus häufigen Typus des Scholastikers
mit äußerlich umgehängter humanistischer Bildung; Jakob Wimp-
feling verkörpert ihn am deutlichsten. Und zwischen diesen beiden
Polen gibt es eine ganze Skala von Mischformen, deren tiefreichende
innere Verschiedenheit der historischen Betrachtung gar zu leicht
unter dem Sammelnamen des „Humanismus“ verschwindet. Keine
dieser Erscheinungen aber kann allein aus dem Bestände der über-
lieferten mittelalterlichen, kirchlichen Bildung erklärt werden. Diese
Bildung lebte freilich selber zum guten Teil von antiken Tradi-
tionen; aber sie hatte diese Traditionen geistig verarbeitet zu
bloßen Elementen ihrer christlichen Weltanschauung; und das
charakteristisch Neue des humanistischen Geistes ist gerade die
bewußte Loslösung dieser Elemente von dieser Verbindung.
Gleichzeitig werden sie noch erweitert aus den neugehobenen
Schätzen des Altertums; aber das Wesentliche ist doch eben
ihre (oft nur halb gelingende) Befreiung aus der Verflech-
Gerhard Ritter:
schaft mit dem Geiste der italienischen Renaissance in extremen
Fällen fast unkenntlich machten. Aber wenn man mit dem Worte
überhaupt noch einen Begriff verbinden will, der mehr besagt, als
spätmittelalterliche Laienbildung als solche, dann muß man doch
ein bestimmtes Unterscheidungsmerkmal festhalten, das ihm von
seinem historischen Ursprung her dauernd aufgeprägt blieb: sein
natürliches, von Hause aus ihm innewohnendes Bestreben auf Er-
neuerung antiker, nicht mittelalterlich-christlicher Bildung. Das
darf durch theologische Geschichtschreibung nicht verdunkelt wer-
den. In dem Kopfe des einzelnen Humanisten kann dieses natür-
liche Bestreben in sehr mannigfache Kombinationen der geistigen
Interessen eintreten. Es kann hinter anderen — in Deutschland
besonders häufig hinter religiösen und theologischen — Interessen
unter Umständen so stark zurücktreten, daß es psychologisch als
sekundäres Moment, der kirchliche Einschlag der Bildung als das
weitaus Wichtigere erscheint. Aber darum ist humanistische Bil-
dung noch nicht kirchliche Bildung, sondern gegenüber den spezi-
fisch christlichen Interessen etwas Neutrales, wenn nicht Gegen-
sätzliches. Diese humanistische Bildung kann in erklärten Wider-
spruch zum Christentum treten; das kommt in Deutschland kaum
vor, obwohl auch hier der Typus des religiös gleichgültigen
Poeten (von Peter Luder bis zu Konrad Mutian) nicht fehlt.
Sie kann auf der anderen Seite geradezu in den Dienst kirchlicher,
ja scholastischer Bildungsinteressen gestellt werden; dann haben
wir den in Deutschland überaus häufigen Typus des Scholastikers
mit äußerlich umgehängter humanistischer Bildung; Jakob Wimp-
feling verkörpert ihn am deutlichsten. Und zwischen diesen beiden
Polen gibt es eine ganze Skala von Mischformen, deren tiefreichende
innere Verschiedenheit der historischen Betrachtung gar zu leicht
unter dem Sammelnamen des „Humanismus“ verschwindet. Keine
dieser Erscheinungen aber kann allein aus dem Bestände der über-
lieferten mittelalterlichen, kirchlichen Bildung erklärt werden. Diese
Bildung lebte freilich selber zum guten Teil von antiken Tradi-
tionen; aber sie hatte diese Traditionen geistig verarbeitet zu
bloßen Elementen ihrer christlichen Weltanschauung; und das
charakteristisch Neue des humanistischen Geistes ist gerade die
bewußte Loslösung dieser Elemente von dieser Verbindung.
Gleichzeitig werden sie noch erweitert aus den neugehobenen
Schätzen des Altertums; aber das Wesentliche ist doch eben
ihre (oft nur halb gelingende) Befreiung aus der Verflech-