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Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1922, 7. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 2: Via antiqua und via moderna auf den deutschen Universitäten des XV. Jahrhunderts — Heidelberg, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.38041#0135
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Studien zur Spätscholastik. II.

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sus) rühmt gegenüber dem „schwierigen und problematischen“
zweiten (über Weltordnung und Sündenfall, difficilis et curiosus),
das gewöhnlich den Anlaß zu naturphilosophischen Spekulationen
gab1, so denkt man zunächst an das in Rede stehende Reform-
programm der via antiqua. Aber die ganze Unterscheidung ist
wörtlich aus dem Sentenzenwerk des „Modernen“ Peter n’AiLLY
herübergenommen. So verfließen in dieser Frage alle Parteigrenzen.
Es würde ausgedehnter Einzelvergleichung der „modernen“ und
thomistischen theologischen Werke des 15. Jahrhunderts bedürfen,
wollte man ein begründetes Urteil über den relativen Anteil der
beiden Schulen am Überwuchern der dialektischen Erörterungen
in der Theologie gewinnen; und mehr als eine relative — im Grunde
also recht belanglose — Schätzung der einen oder anderen Partei
würde dabei schwerlich herauskommen2.
In Wahrheit ist diese Seite der Frage auch gar nicht entschei-
dend für das historische Urteil. Gegenüber dem, was die religiösen
Bedürfnisse der Zeit von Jahrzehnt zu Jahrzehnt stürmischer for-
derten, genügte eine Konzentration der Theologie auf ihre engeren

1 Reportata Stephani Brulifer super scripta s. Bonaventure. Basel 1507.
Fol. 3a Einteilung der 4 Bücher des Lombarden; fol. 361 Einleitung z. 4. Buch:
Hec [sc. theologiam] non ciocet grammatica nec logica nec philosophia, sed summus
theologus deus . . . per sacram scripturam. Bemerkenswert ist die unschemati-
sche, ausgesprochen populäre Art der Kommentierung; darin scheint sich nun
doch in der Tat der Einfluß der einfacheren, älteren Darstellungsmethode
geltend zu machen, wie sie sich bei Bonaventura findet!
2 Daß im praktischen Schulbetrieb der Universitäten der leere Formalis-
mus und die ödeste Sophistik auch auf seiten der via antiqua nicht ausblieben,
dafür ließen sich die Belege mühelos häufen. So finden sich in Clm. 7080,
fol. 169 — 198 bzw. 164 — 168 im ganzen 6 Einleitungs- und Schlußreden zur
Sentenzenvorlesung (1466/8) und zum Bibelkurs eines theologischen Bakka-
lars, die das Unerträglichste an leerer Geschwätzigkeit und formallogischem
Schematismus darstellen, was mir je vor Augen gekommen ist. Thema aller
dieser Reden sind die drei Worte ego flos campi, die zu den unglaublichsten
Spielereien verwendet werden; ebenso fade ist die Durchführung der aufge-
stellten Quästionen über das Verhältnis von Theologie und Metaphysik u. ä.,
denen jeder, aber auch jeder philosophische Gehalt abgeht. Redner ist der
Karmeliter Leonhardus Romolt, Schüler des Heidelberger Thomisten Her-
wich von Amsterdam; es handelt sich sozusagen um Probevorlesungen vor der
Heidelberger theolog. Fakultät. Rein formale, inhaltleere Rhetorik enthält
auch die Predigt des Herwich von Amsterdam de Petro et Paulo, secundum
formam Tullii rhetoris (!) in Clm. 7080, fol. 150ff. und die theolog. Dispu-
tationsrede (Quästion) desselben Redners von 1453, in Cod. Pal. Lat. Vat. 370,
fol. 338b.
 
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