Metadaten

Reitzenstein, Richard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1923, 2. Abhandlung): Die griechische Tefnutlegende — Heidelberg, 1923

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.38043#0029
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die griechische Tefnu Liegende.

29

der demotischen Beschreibung des Greifen nicht gewaltsam an-
gleichen dürfen. Selbst in dem demotischen Text erkennen wir
noch, daß der Greif XV, 11 falsch eingefügt, XV, δ ungeschickt
und überflüssig mit dem Thanatos verbunden ist: vergleicht man
XV, 1, so sieht man, daß zwei abweichende Fassungen zusammen-
gewachsen sind, deren eine auf den Greif gestellt war, die andere
auf Thanatos, bzw. einen ägyptischen Todesdämon.1 Ursprünglich
hat hier wohl keiner von beiden seinen Platz2, ja der Vergelter-
gott, der nach Spiegelberg, S. 296 erst seit der Ptolemäerzeit nach-
zuweisen ist, überhaupt nicht. Die Stelle bietet nämlich auch
einen lehrreichen Beleg für die Schreiberwillkür, die sowohl den
demotischen wie den griechischen Text entstellt hat. Sagt jener:
,,er übt AVrgeltung an allem, was auf Erden ist, von der Hunds-
fliege an, dem kleinsten Wesen, das existiert, bis zu dem von ihn
am meisten verabscheuten, dem Greif, dem größten Wesen auf Er den''',
so sehen wir, daß der Verfasser das Üben der Vergeltung als ein
Fürsorgen faßt und daher mit dem schwächsten (kleinsten) Wesen
beginnt; dem allein entspricht auch die Fortsetzung. Für den
Löwen, der den Gegensatz bilden mußte, hat erst ein Schreiber
den Greif eingesetzt; ob er gar noch ihn als besonders verab-
scheuungswürdig bezeichnet hat, läßt sich bei der Unsicherheit
der Lesung noch nicht sagen. Der griechische Text bot ursprüng-
lich Θάνατος . . . πάντων κυριεύει εν γη ώς δεσπότης από τού λεοντος
μέχρι μυίας, καίτοι του λεοντος ού μεΐζον 2ψόν έστιν ουδέ δυναμικώ-
τερον τετράπουν. Der Übersetzer dachte nur an die Kraft des
Todes, so begann er mit dem stärksten Wesen; nur als Gegen-
satz wurde das schwächste Wesen mitgenannt, und dies konnte,
wie Prof. Spiegelberg erkannte, nach dem Vorausgehenden nur
die Fliege sein. Aber ein Schreiber, der das nicht empfand, ent-
sann sich der äsopischen Fabel vom Löwen und der gefangenen
Maus, die ja auch hier später folgt3, und machte daraus δεσπότης
1 Ähnlich sind in dem oben aus Demot. III, 19 ff. ausgeschriebenen Text mehrere
Doppelfassungen, von denen ich nur die eine ausgesondert habe; auch der Ab-
schnitt IV, δ—9 (Ich sehe, daß es der Eid eines Kindes ist — die Furcht hei ihm
ist) ist schwer verdächtig' und fehlt bei dem Griechen. Derartige Einschübe liegen
im Wesen der priesteHieben und der volkstümlichen Literatur.
2 Weder der eine noch der andere ist für die Göttin, deren Unsterblichkeit
sofort betont wird, zu fürchten.
3 Es heißt dort Dem. XIX, 2: „Die [kleine Maus], die das schwächste ist,
was <s in der Wüste gibt — der Löwe, der das kraftgewaltigste ist, was es in
der Wüste gibt“, im griechischen Text also wohl δυναμικώτατον.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften