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Schubert, Hans; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1926/27, 2. Abhandlung): Der Kampf des geistlichen und weltlichen Rechts — Heidelberg, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.38924#0009
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Der Kampf des geistlichen und weltlichen Rechts.

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Römer gegeben. Erst Ludwig Mitteis hat uns diesen Prozeß
genauer erkennen lassen, der die ersten Jahrhunderte des Christen-
tums begleitet, und hat gezeigt, daß selbst die lex Antoniniana von
212, die allen Untertanen das römische Bürgerrecht verlieh und
das Reichsrecht zu allgemeiner Stellung erhob, die Volksrechte
noch nicht zum Erlöschen brachte, nicht nur bei den Juden, die
auch in den Diasporagemeinden zum mindesten eigene Vermögens-
Verwaltung und eigene Jurisdiktion behielten1. Doch hatte ■— und
das führt auf einen zweiten Punkt — ebenso wie das griechische
Recht das römische, aus dem Fremdenrecht heraus, ein allgemeines,
für alle Völker geltendes Recht, ein ius gentium erzeugt, das man
mit dem natürlichen, dem mit dem Menschen geborenen Recht
eins setzte, indem man es nicht aus dem ius, dem geltenden Recht,
sondern der Billigkeit, dem aequum, ableitete2. Die Philosophie
der mittleren Stoa aber, die in Rom besonderen Boden fand,
machte es leicht, dieses allgemeine, der Vernunft und Billigkeit ent-
sprechende Recht als ein göttliches Recht anzusehen, als die No-
moi, die Gesetze, die Gott auf die Tafeln des Herzens eingeschrieben
hat, die aypa7rra xaocpaV/) üscov vogiga, auf die sich schon die sopho-
kleische Antigone gegen Kleon berief (v. 452). Wie das römische ius
aus dem fas, dem göttlichen Recht der priesterlichen Königszeit,
heraus entstanden war, so erhob sich nun wieder in der Kaiser-
zeit über dem ius civile der Römer das göttliche Weltrecht des
philosophischen Kosmopoliten3. Ein drittes ist zu bemerken. Dieser
ganze fließende, unabgeschlossene Charakter des Rechtszustandes
hing damit zusammen, daß das römische Recht seit dem Zwölf-
tafelgesetz einer eigentlichen Kodifikation ermangelte, es war weit
mehr lebendig mit der Praxis fortschreitendes Richter- und Juristen-
ais Paragraphenrecht, auch abgesehen von den großen Mängeln der

1 L. Mitteis, Reichsrecht und Volksrecht in den östl. Provinzen des
römischen Kaiserreiches (1891), nam. S. 159ff., 202f.; E. Schürer, Gesch.
des jüd. Volkes im Zeitalter Jesu Christi 3III, 70 (1898).
2 L. Mitteis, a. a. 0., S. 73ff.; B. W. Leist, Graeco-ital. Rechtsgesch.
S. 641 ff. (1884); L. Kuhlenbeck, Entwiclclungsgesch. des röm. Rechts I,
220, 222f. (1910); P. Krüger, Gesch. der Quellen u. Litt, des röm. Rechts2
S. 43ff., 131 ff. (1912); B. Kübler, Gesch. des röm. Rechts S. 130ff., nam.
130, A. 7. (1925).
3 R. Hirzel, Wypacpoc; vopoq, 1900; W. Köhler, Die Entstehung des
Problems St. u. K. (1903), S. 24ff.; Carlyle, A history of mediaeval poli-
tical theory of the west I, 1—78 (1903); E. Troeltsch, Soziallehren 1,146ff.,
bes. 159, A. 73 (1912); P. Wendland, Hellenist.-röm. Kultur3, S. 42 (1912).
 
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