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Hans v. Schubert:
Zu dieser Zeit war das Rechtsproblem, das sich hier leise
ankündigte, schon von ganz anderer Seite aufgerollt, und alsbald
sah sich die Kirche mit ihren ins Riesige gewachsenen Ansprüchen
wieder einer völlig veränderten Lage gegenüber. Man pflegt den
Übertritt des kleinen Heerkönigs im Norden des alten Reichs, der
seine Scharen mit erschreckender Schnelligkeit über Gallien und
die Rheinprovinzen nach Süden vorschob und aus den Trümmern
ein neues Imperium germanischer Führung zusammenfügte -— man
pflegt den Übertritt des Salierkönigs Chlodwig zum Katholizismus
als das große Glück der Kirche zu preisen, da er im Erfolg die
Katholisierung der ganzen neuen Völkerwelt im Norden bedeutete,
nicht mehr nur einzelner entwurzelter Stämme und Heerhaufen.
In unserem Zusammenhänge hat er doch auch noch ein anderes
Gesicht. Der Übertritt des Mannes, in dem man rasch den zweiten
Constantin erblickte1, bedeutete wieder den Anfang einer Aus-
einandersetzung zwischen zwei konkurrierenden, weil auf einer
Fläche stehenden Mächten und Rechten —■ den Neuanfang des-
selben Prozesses, den wir schon einmal verfolgten, und der sich nun
abermals vor unseren Augen abrollt, unter ganz anderen, viel
schwierigeren Verhältnissen, mit anderen Vertretern, der mächtig
und selbständig gewordenen, römisch-papalistischen Rechtskirche
des Abendlandes auf der einen, der verborgenen Rechtskraft des
jugendlichen germanischen Volksstaats als Gegenspielers auf der
anderen Seite. Man kann sich nicht wundern, daß nun erst die
Auseinandersetzung der beiden aufeinander angewiesenen, aber
sich innerlich fremden Rechte die Form eines erbitterten Kampfes
annimmt, mit Schlag und Gegenschlag, Niederlage und Ausgleich
bis zu jenem Siedepunkt, da es ein Entweder-Oder wird, buch-
stäblich, wie wir im Anfang sahen, ein Kampf auf Leben und Tod,
cl. h. bis zum unbedingten Siege des einen -— wer aber würde das
diesmal sein ?
Auf den ersten Blick wird man durchaus geneigt sein, den Sieg
auf der Seite des geistlichen Rechtes zu suchen. Dieser einheit-
lich-römischen Weltgröße gegenüber, in der die ganze Kultur der
untergehenden Antike gerade in ihren feinsten, sittlichen Verzwei-
gungen sich wiederspiegelt, stand ein germanisches Recht in den
Anfängen seiner Entfaltung, auf primitive bäuerliche Verhältnisse
zugeschnitten, gespalten in Stammesrechte, personell also, auch
dem Römer sein Recht lassend, jetzt in komplizierte städtische
. 1 Gregor Tur., Hist. Fr. II, 31 (MG. scr. rer. Mer. I, 93).
Hans v. Schubert:
Zu dieser Zeit war das Rechtsproblem, das sich hier leise
ankündigte, schon von ganz anderer Seite aufgerollt, und alsbald
sah sich die Kirche mit ihren ins Riesige gewachsenen Ansprüchen
wieder einer völlig veränderten Lage gegenüber. Man pflegt den
Übertritt des kleinen Heerkönigs im Norden des alten Reichs, der
seine Scharen mit erschreckender Schnelligkeit über Gallien und
die Rheinprovinzen nach Süden vorschob und aus den Trümmern
ein neues Imperium germanischer Führung zusammenfügte -— man
pflegt den Übertritt des Salierkönigs Chlodwig zum Katholizismus
als das große Glück der Kirche zu preisen, da er im Erfolg die
Katholisierung der ganzen neuen Völkerwelt im Norden bedeutete,
nicht mehr nur einzelner entwurzelter Stämme und Heerhaufen.
In unserem Zusammenhänge hat er doch auch noch ein anderes
Gesicht. Der Übertritt des Mannes, in dem man rasch den zweiten
Constantin erblickte1, bedeutete wieder den Anfang einer Aus-
einandersetzung zwischen zwei konkurrierenden, weil auf einer
Fläche stehenden Mächten und Rechten —■ den Neuanfang des-
selben Prozesses, den wir schon einmal verfolgten, und der sich nun
abermals vor unseren Augen abrollt, unter ganz anderen, viel
schwierigeren Verhältnissen, mit anderen Vertretern, der mächtig
und selbständig gewordenen, römisch-papalistischen Rechtskirche
des Abendlandes auf der einen, der verborgenen Rechtskraft des
jugendlichen germanischen Volksstaats als Gegenspielers auf der
anderen Seite. Man kann sich nicht wundern, daß nun erst die
Auseinandersetzung der beiden aufeinander angewiesenen, aber
sich innerlich fremden Rechte die Form eines erbitterten Kampfes
annimmt, mit Schlag und Gegenschlag, Niederlage und Ausgleich
bis zu jenem Siedepunkt, da es ein Entweder-Oder wird, buch-
stäblich, wie wir im Anfang sahen, ein Kampf auf Leben und Tod,
cl. h. bis zum unbedingten Siege des einen -— wer aber würde das
diesmal sein ?
Auf den ersten Blick wird man durchaus geneigt sein, den Sieg
auf der Seite des geistlichen Rechtes zu suchen. Dieser einheit-
lich-römischen Weltgröße gegenüber, in der die ganze Kultur der
untergehenden Antike gerade in ihren feinsten, sittlichen Verzwei-
gungen sich wiederspiegelt, stand ein germanisches Recht in den
Anfängen seiner Entfaltung, auf primitive bäuerliche Verhältnisse
zugeschnitten, gespalten in Stammesrechte, personell also, auch
dem Römer sein Recht lassend, jetzt in komplizierte städtische
. 1 Gregor Tur., Hist. Fr. II, 31 (MG. scr. rer. Mer. I, 93).