24
Hans y. Schubert:
Menschen sein. Dieser germanische Staat, gerade weil er dem
Naturboden noch näher war, stand auch dem Rechtsleben des
Volkes näher. Was diese Menschen band, war auch natürliches
Recht, aber in anderem Sinne als bei den Philosophen: in Macht
und Lebensfülle aus dem Volke erwachsen und mit dem Volke
gewachsen, streng, formal, symbolhaft, aber eben darum jedem
gefühlsmäßig verständlich, Lebensgewohnheit auch wo es auf-
geschrieben war, aufgeschriebene Gewohnheit, Weistum, consue-
tudo, coutume. Man wird viel mehr als an die spätrömische Kaiser-
zeit erinnert an jene ursprüngliche römische Königszeit, da alles
Recht noch sakral, fas, war, der König selbst oberster Priester und
Richter, seine Herrschaft von Sippen- und Hausherrschaft noch
wenig gelöst1. Wie tief dies germanische Recht im Volksboden
wurzelte, erkennt man daraus, daß es in den langen Jahrhunderten
bis zu den Staufern hin sich in den gleichen Formen äußerte, auch
der Kirche gegenüber, darin doch auch wie diese eine einheitliche
Größe durch die Länge dieser Geschichte hin, mag man es mit
Franken, Sachsen oder Schwaben, mit Merowingern, Karolingern,
Ottonen oder Saliern zu tun haben, allmählich nur schwächer und
gebrochener werdend, mit ursprünglichster Kraft zweimal, am
Anfang der fränkischen und der deutschen Zeit bei den Mero-
wingern und wieder bei den Sachsen, zwischen denen die karo-
lingische Periode doch nur einen geringeren Abschnitt zwischen
zwei Vorführungen mit dem gleichen Grundthema bildet. Man hat
von dem früheren Mittelalter bis 1070 als einer Periode des ,,ger-
manischen Kirchenrechtes“ sprechen können2.
Wodurch kam es zu diesem vorläufigen Sieg ? Durch zweierlei,
beides hineinragend in dunkle vorchristliche Ursprünge, in die Zeit
des heidnischen sakralen Volksrechts, beides derselben Wurzel ent-
sprossen, dem sakralen Herrenrecht einschließlich der germanischen
1 P. Joers, Röm. Rechtswiss. z. Z. d. Republik, S. 16ff.; L. Kuhlen-
beck, 1. c. S. 46ff., 68ff.
2 U. Stutz, Kirchenrecht2 * * * (Encykl. d. Rechtswiss. von Holtzendorff
und Köhler7 Y, 2), S. 299ff. (1914). Stutz hat das dreifache unbestreitbare
Verdienst, daß er 1. die Geschichte des Kirchenrechts in bis dahin unbe-
kanntem Maße mit der Kirchengeschichte überhaupt verbunden, 2. daß er
zuerst klar und scharf die Periode des nationalen oder germanischen Kirchen-
rechts herausgehoben und 3. innerhalb desselben die Bedeutung des Eigen-
kirchenrechts in der Fülle seiner Beziehungen erstmalig erkannt hat. Einem
Gesamtverständnis des mittelalterlichen Prozesses, wie es im folgenden geboten
wird, sind dadurch die Wege gewiesen worden.
Hans y. Schubert:
Menschen sein. Dieser germanische Staat, gerade weil er dem
Naturboden noch näher war, stand auch dem Rechtsleben des
Volkes näher. Was diese Menschen band, war auch natürliches
Recht, aber in anderem Sinne als bei den Philosophen: in Macht
und Lebensfülle aus dem Volke erwachsen und mit dem Volke
gewachsen, streng, formal, symbolhaft, aber eben darum jedem
gefühlsmäßig verständlich, Lebensgewohnheit auch wo es auf-
geschrieben war, aufgeschriebene Gewohnheit, Weistum, consue-
tudo, coutume. Man wird viel mehr als an die spätrömische Kaiser-
zeit erinnert an jene ursprüngliche römische Königszeit, da alles
Recht noch sakral, fas, war, der König selbst oberster Priester und
Richter, seine Herrschaft von Sippen- und Hausherrschaft noch
wenig gelöst1. Wie tief dies germanische Recht im Volksboden
wurzelte, erkennt man daraus, daß es in den langen Jahrhunderten
bis zu den Staufern hin sich in den gleichen Formen äußerte, auch
der Kirche gegenüber, darin doch auch wie diese eine einheitliche
Größe durch die Länge dieser Geschichte hin, mag man es mit
Franken, Sachsen oder Schwaben, mit Merowingern, Karolingern,
Ottonen oder Saliern zu tun haben, allmählich nur schwächer und
gebrochener werdend, mit ursprünglichster Kraft zweimal, am
Anfang der fränkischen und der deutschen Zeit bei den Mero-
wingern und wieder bei den Sachsen, zwischen denen die karo-
lingische Periode doch nur einen geringeren Abschnitt zwischen
zwei Vorführungen mit dem gleichen Grundthema bildet. Man hat
von dem früheren Mittelalter bis 1070 als einer Periode des ,,ger-
manischen Kirchenrechtes“ sprechen können2.
Wodurch kam es zu diesem vorläufigen Sieg ? Durch zweierlei,
beides hineinragend in dunkle vorchristliche Ursprünge, in die Zeit
des heidnischen sakralen Volksrechts, beides derselben Wurzel ent-
sprossen, dem sakralen Herrenrecht einschließlich der germanischen
1 P. Joers, Röm. Rechtswiss. z. Z. d. Republik, S. 16ff.; L. Kuhlen-
beck, 1. c. S. 46ff., 68ff.
2 U. Stutz, Kirchenrecht2 * * * (Encykl. d. Rechtswiss. von Holtzendorff
und Köhler7 Y, 2), S. 299ff. (1914). Stutz hat das dreifache unbestreitbare
Verdienst, daß er 1. die Geschichte des Kirchenrechts in bis dahin unbe-
kanntem Maße mit der Kirchengeschichte überhaupt verbunden, 2. daß er
zuerst klar und scharf die Periode des nationalen oder germanischen Kirchen-
rechts herausgehoben und 3. innerhalb desselben die Bedeutung des Eigen-
kirchenrechts in der Fülle seiner Beziehungen erstmalig erkannt hat. Einem
Gesamtverständnis des mittelalterlichen Prozesses, wie es im folgenden geboten
wird, sind dadurch die Wege gewiesen worden.