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Hans v. Schubert :
lange Iiausmeiertum im fränkischen Reich, die Kanzlerregierung,
sich nur durch den Glauben an die Merowingerdynastie erklärt,
und daß schließlich Karl Martell jahrelang Hausmeier blieb, auch
ohne einen Merowinger neben sich —- nur der dynastische Gedanke
saß auf dem Thron1. Er lebt auch in dem Glauben an das karo-
lingische Geschlecht fort in Ost- und Westfranken bis in die Re-
gierung unwürdiger Glieder und Bastarde hinein2 und ist wieder
den sächsischen Ludolfingern und fränkischen Saliern gegenüber
wirksam. Noch bei Heinrich III. erscheint selbst einem Petrus
Damiani sein „adlig Geblüt“ als konstitutiv für seine Herrschafts-
stellung3. Und wenn Heinrich IV. sich in jenem Manifest unter
die Christi rechnet und von der heiligen Tradition der Väter redet,
die ihn vor die Gottheit allein stelle, darf man dabei nicht nur an
Kirche und Kirchenväter denken4. Es war das, was man auch vor
Päpsten voraus hatte.
Man muß sich in diese primitiven Kräfte versenken, um zu
verstehen, wie es möglich war, daß das germanische Königsrecht
den ganzen Bau des geistlichen Rechts, den stolzen Organismus
der Kirche von oben zusammenknickte, den Papst rechtlich aus-
schaltete, die Weltkirche zur Landes- und Reichskirche umschuf,
die großen Metropoliten um ihre Bedeutung brachte und die
Bischöfe zu Beamten für höhere Kulturpflege umstempelte. Ge-
wöhnt aus vorchristlicher Zeit an Staatskult und Staatspriester,
aber nicht an einen dem Recht entnommenen Priesterstand, fordert
das Königtum grundsätzlich auch vom Klerus Treueid und Teil-
nahme am Rechtsleben des Volkes mit Person und Sache, aktiv
durch Heerdienst und Steuer, passiv durch Unterwerfung unter
das weltliche Gericht; darüber hinaus aber, der erhöhten Bedeutung
der christlichen Priesterschaft entsprechend, fordert das Königtum
für sich bestimmenden Anteil beim Eintritt in den Klerus, beim
Eintritt ins leitende Bischofsamt, beim Zusammentritt der Bischöfe
zur Synode5. Königsrecht vor Bischofsrecht, das heißt nichts
anderes als: sakrales Herrscherrecht vor göttlichem Kirchenrecht.
1 Seit 737, vgl. E. Mühlbacher, Deutsche Gesch. unter d. Karolingern,
S. 43 ff. (1896).
2 F. Kern, a. a. O., S. 44, A. 84.
3 Migne, Patr. lat., 144, 899f.; H. v. Schubert, Petrus Damiani als
Kirchenpolitiker (Festschr. f. K. Müller, 1922), S. 99.
4 Wenn auch in erster Reihe, s. ob. S. 7 u. unten S. 29, A. 3 u. S. 31,
A. 5 über die Herrscherweihe. Aber diese fand ihre Anknüpfung an dem Ge-
blütsrecht, das mit demWahlrecht des Volkes das altgerm.Königtum begründete.
5 H. v. Schubert, Frühmittelalter, S. 157—163.
Hans v. Schubert :
lange Iiausmeiertum im fränkischen Reich, die Kanzlerregierung,
sich nur durch den Glauben an die Merowingerdynastie erklärt,
und daß schließlich Karl Martell jahrelang Hausmeier blieb, auch
ohne einen Merowinger neben sich —- nur der dynastische Gedanke
saß auf dem Thron1. Er lebt auch in dem Glauben an das karo-
lingische Geschlecht fort in Ost- und Westfranken bis in die Re-
gierung unwürdiger Glieder und Bastarde hinein2 und ist wieder
den sächsischen Ludolfingern und fränkischen Saliern gegenüber
wirksam. Noch bei Heinrich III. erscheint selbst einem Petrus
Damiani sein „adlig Geblüt“ als konstitutiv für seine Herrschafts-
stellung3. Und wenn Heinrich IV. sich in jenem Manifest unter
die Christi rechnet und von der heiligen Tradition der Väter redet,
die ihn vor die Gottheit allein stelle, darf man dabei nicht nur an
Kirche und Kirchenväter denken4. Es war das, was man auch vor
Päpsten voraus hatte.
Man muß sich in diese primitiven Kräfte versenken, um zu
verstehen, wie es möglich war, daß das germanische Königsrecht
den ganzen Bau des geistlichen Rechts, den stolzen Organismus
der Kirche von oben zusammenknickte, den Papst rechtlich aus-
schaltete, die Weltkirche zur Landes- und Reichskirche umschuf,
die großen Metropoliten um ihre Bedeutung brachte und die
Bischöfe zu Beamten für höhere Kulturpflege umstempelte. Ge-
wöhnt aus vorchristlicher Zeit an Staatskult und Staatspriester,
aber nicht an einen dem Recht entnommenen Priesterstand, fordert
das Königtum grundsätzlich auch vom Klerus Treueid und Teil-
nahme am Rechtsleben des Volkes mit Person und Sache, aktiv
durch Heerdienst und Steuer, passiv durch Unterwerfung unter
das weltliche Gericht; darüber hinaus aber, der erhöhten Bedeutung
der christlichen Priesterschaft entsprechend, fordert das Königtum
für sich bestimmenden Anteil beim Eintritt in den Klerus, beim
Eintritt ins leitende Bischofsamt, beim Zusammentritt der Bischöfe
zur Synode5. Königsrecht vor Bischofsrecht, das heißt nichts
anderes als: sakrales Herrscherrecht vor göttlichem Kirchenrecht.
1 Seit 737, vgl. E. Mühlbacher, Deutsche Gesch. unter d. Karolingern,
S. 43 ff. (1896).
2 F. Kern, a. a. O., S. 44, A. 84.
3 Migne, Patr. lat., 144, 899f.; H. v. Schubert, Petrus Damiani als
Kirchenpolitiker (Festschr. f. K. Müller, 1922), S. 99.
4 Wenn auch in erster Reihe, s. ob. S. 7 u. unten S. 29, A. 3 u. S. 31,
A. 5 über die Herrscherweihe. Aber diese fand ihre Anknüpfung an dem Ge-
blütsrecht, das mit demWahlrecht des Volkes das altgerm.Königtum begründete.
5 H. v. Schubert, Frühmittelalter, S. 157—163.