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Hans v. Schubert:
Interesse, sein Recht innerhalb seines Gebiets gegen das Über-
wuchern cles allgemeinen päpstlich-kanonischen Rechts abzu-
schließen.
Man sieht schon hieraus: daß das kanonische Recht Weltrecht
war, diente nicht mehr unbedingt zu seiner Empfehlung. Noch
weniger dort, wo man sich nicht wie in Deutschland aus der natio-
nalen Einheit in die territoriale Vielheit, sondern umgekehrt aus
der Vielheit der Seigneurien und Volksteile in die Einheit eines Volks
unter einem nationalen Königtum entwickelte und dementsprechend
auch nach nationaler Rechtseinheit strebte. Das aber war in Eng-
land und Frankreich der Fall. Man übersieht nur zu leicht über dem
Hauptkriegsschauplatz im Ringen zwischen Kirche und Staat, dem
deutschen Reiche, die Nebenkriegsschauplätze England und Frank-
reich, die beide erst jetzt als Staatspersönlichkeiten deutlicher
heraustreten. An beiden Stellen waren die Grundlagen des natio-
nalen Kirchenrechts geblieben, an beiden hatte sich eine Dynastie
in die Höhe gearbeitet, an der eine weitere große Entwicklung
ihren Halt haben konnte.
Das Verhältnis der ersten Normannenkönige in England zur
Kirche, der beiden Wilhelme, ist nur eine verstärkte Wiederaufnahme
des angelsächsischen. Der Mann, der mit der päpstlichen Fahne
in der Hand die Insel eroberte, Wilhelm I., besetzte dort die
Rischofssitze mit seinen Hofleuten, behandelte das Kirchengut als
seine Einnahmequelle, unterstellte den Klerus seinem königlichen
Gericht und verbot die Appellation an das päpstliche. Nur über
den König ging der Weg von Rom oder nach Rom1. Das ist trotz
mancher Schwankungen und Abwandlungen der allgemeine Cha-
rakter dieser katholisch-anglikanischen Kirche geblieben. Dann
brach unter dem zweiten Nachfolger des Eroberers, Heinrich, auch
hier der Streit am wichtigsten Punkte aus, der Resetzung der
Bistümer, um so gefährlicher, als sich der Primas des Landes in
Canterbury, der Lombarde Anselm, auf die Seite Roms stellte2.
Aber das Konkordat von 1106 — ein erstes Konkordat, ein Vertrag
also zwischen zwei Gleichberechtigten über eine Frage des Kirchen-
rechts — sicherte der Krone, obwohl es die Wahl dem Klerus frei-
gab, doch sonst die volle Herrschaft. Und während das deutsche
1 K. Müller, KG. I, 451 f.: W. Stübbs, Constit. history l5, II4, 1891.
1906; W. F. IIoldsworth, Hist, of engl. Law, I, 580ff. (ganz summarisch),
1922.
2 M. Schmitz, Der englische Investiturstreit, 1884; K. Müller, S. 452f.
Hans v. Schubert:
Interesse, sein Recht innerhalb seines Gebiets gegen das Über-
wuchern cles allgemeinen päpstlich-kanonischen Rechts abzu-
schließen.
Man sieht schon hieraus: daß das kanonische Recht Weltrecht
war, diente nicht mehr unbedingt zu seiner Empfehlung. Noch
weniger dort, wo man sich nicht wie in Deutschland aus der natio-
nalen Einheit in die territoriale Vielheit, sondern umgekehrt aus
der Vielheit der Seigneurien und Volksteile in die Einheit eines Volks
unter einem nationalen Königtum entwickelte und dementsprechend
auch nach nationaler Rechtseinheit strebte. Das aber war in Eng-
land und Frankreich der Fall. Man übersieht nur zu leicht über dem
Hauptkriegsschauplatz im Ringen zwischen Kirche und Staat, dem
deutschen Reiche, die Nebenkriegsschauplätze England und Frank-
reich, die beide erst jetzt als Staatspersönlichkeiten deutlicher
heraustreten. An beiden Stellen waren die Grundlagen des natio-
nalen Kirchenrechts geblieben, an beiden hatte sich eine Dynastie
in die Höhe gearbeitet, an der eine weitere große Entwicklung
ihren Halt haben konnte.
Das Verhältnis der ersten Normannenkönige in England zur
Kirche, der beiden Wilhelme, ist nur eine verstärkte Wiederaufnahme
des angelsächsischen. Der Mann, der mit der päpstlichen Fahne
in der Hand die Insel eroberte, Wilhelm I., besetzte dort die
Rischofssitze mit seinen Hofleuten, behandelte das Kirchengut als
seine Einnahmequelle, unterstellte den Klerus seinem königlichen
Gericht und verbot die Appellation an das päpstliche. Nur über
den König ging der Weg von Rom oder nach Rom1. Das ist trotz
mancher Schwankungen und Abwandlungen der allgemeine Cha-
rakter dieser katholisch-anglikanischen Kirche geblieben. Dann
brach unter dem zweiten Nachfolger des Eroberers, Heinrich, auch
hier der Streit am wichtigsten Punkte aus, der Resetzung der
Bistümer, um so gefährlicher, als sich der Primas des Landes in
Canterbury, der Lombarde Anselm, auf die Seite Roms stellte2.
Aber das Konkordat von 1106 — ein erstes Konkordat, ein Vertrag
also zwischen zwei Gleichberechtigten über eine Frage des Kirchen-
rechts — sicherte der Krone, obwohl es die Wahl dem Klerus frei-
gab, doch sonst die volle Herrschaft. Und während das deutsche
1 K. Müller, KG. I, 451 f.: W. Stübbs, Constit. history l5, II4, 1891.
1906; W. F. IIoldsworth, Hist, of engl. Law, I, 580ff. (ganz summarisch),
1922.
2 M. Schmitz, Der englische Investiturstreit, 1884; K. Müller, S. 452f.