Der Kampf des geistlichen und weltlichen Rechts.
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dem 15. Jahrhundert praktisch, vollzog sich im Reiche die Re-
zeption des römischen Rechtes1, 1495 gekrönt durch die Schaf-
fung eines Reichsgerichts, dessen erste Prozeßordnungen durchaus
die neuen Grundsätze zeigten. Das wäre also eine freilich sehr späte
Parallele zum französischen Parlament, ein oberstes Appellationsge-
richt wie dieses, auch eine konkurrierende Rechtsquelle neben der zu
Rom. Aber es hat doch nie dieselbe Redeutung gewinnen können,
nicht nur deshalb, weil kein Reich dahinter stand von der geschlos-
senen Kraft des königlichen Frankreichs — eben dieses wichtigste
Stück der Reichsreform hätte ja wie das Pariser Parlament dazu
helfen können, wieder ein Reich zu schaffen — sondern deshalb,
weil hier eine Quelle weniger des nationalen als des fremden römi-
schen Rechtes sprudelte. In Frankreich war dies alte fremde Recht
in den entscheidenden Jahrhunderten wohl nützlich gewesen, dem
Papsttum Widerstand zu leisten, aber man ließ es nicht zur Herrin
werden. Im Süden Frankreichs, dem Lande des droit ecrit, war
römisches Recht jetzt schon lange bekannt; die legistische Lite-
ratur hatte dem Kampf Philipps mit der Kurie den Roden bereitet;
mit legistisch-gebildeten Räten wie Pierre Dubois, Pierre de Flöte,
Guillaume de Nogaret hatte er ihn siegreich geführt2. Allein die
französische Rechtsentwicklung, die ihren Herd im altfränkischen
Norden hatte, im Lande des droit coutumier, im Land des Pariser
Parlaments, hat sich befruchten, doch nicht verfälschen lassen durch
eine Rezeption des römischen Rechts. Die Rechtsentwicklung ist
die eine Seite der gesamtnationalen Entwicklung in der Hand des
Königtums geblieben. L’histoire des ordonnances est l’histoire de
France, heißt ein altes Wort3 * *.
Man kann von hier aus eine direkte Linie ziehen zu dem dritten
Kreis von Gedanken, die den siegreichen Fortschritt der Staats-
gewalt und seines Rechts begründen. Man muß einsetzen mit
1 Über die Rezeption des r. R. außer Moddermann-Schulz (S.41,A. 1)
und G. von Below, Die Ursachen der Rezeption usw. (1905), die RGG. von
Schröder-von Künssberg6, S. 864—75; Brunner-Heymann7, S. 258ff.
Fehr, S. 201 ff.; von Schwerin2, S. 8f.
2 R. Scholz, Die Publizistik zur Zeit Philipps d. Sch. usw. (Kirchenr.
Abh., hrsg. von U. Stutz, 6/8, 1903), S. 24ff.
3 Moddermann-Schulz S. 79, Warnkönig-Stein 1, 426, 586, II, 58.
Wenn das Parlament sich später zur Stimme des Volkes auch gegen clen König
machte, zur Zeit des Absolutismus der einzigen Stimme, durch Verweigerung
der Einregistrierung', so beweist das nur, wie stark es mit der Nation ver-
bunden war.
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dem 15. Jahrhundert praktisch, vollzog sich im Reiche die Re-
zeption des römischen Rechtes1, 1495 gekrönt durch die Schaf-
fung eines Reichsgerichts, dessen erste Prozeßordnungen durchaus
die neuen Grundsätze zeigten. Das wäre also eine freilich sehr späte
Parallele zum französischen Parlament, ein oberstes Appellationsge-
richt wie dieses, auch eine konkurrierende Rechtsquelle neben der zu
Rom. Aber es hat doch nie dieselbe Redeutung gewinnen können,
nicht nur deshalb, weil kein Reich dahinter stand von der geschlos-
senen Kraft des königlichen Frankreichs — eben dieses wichtigste
Stück der Reichsreform hätte ja wie das Pariser Parlament dazu
helfen können, wieder ein Reich zu schaffen — sondern deshalb,
weil hier eine Quelle weniger des nationalen als des fremden römi-
schen Rechtes sprudelte. In Frankreich war dies alte fremde Recht
in den entscheidenden Jahrhunderten wohl nützlich gewesen, dem
Papsttum Widerstand zu leisten, aber man ließ es nicht zur Herrin
werden. Im Süden Frankreichs, dem Lande des droit ecrit, war
römisches Recht jetzt schon lange bekannt; die legistische Lite-
ratur hatte dem Kampf Philipps mit der Kurie den Roden bereitet;
mit legistisch-gebildeten Räten wie Pierre Dubois, Pierre de Flöte,
Guillaume de Nogaret hatte er ihn siegreich geführt2. Allein die
französische Rechtsentwicklung, die ihren Herd im altfränkischen
Norden hatte, im Lande des droit coutumier, im Land des Pariser
Parlaments, hat sich befruchten, doch nicht verfälschen lassen durch
eine Rezeption des römischen Rechts. Die Rechtsentwicklung ist
die eine Seite der gesamtnationalen Entwicklung in der Hand des
Königtums geblieben. L’histoire des ordonnances est l’histoire de
France, heißt ein altes Wort3 * *.
Man kann von hier aus eine direkte Linie ziehen zu dem dritten
Kreis von Gedanken, die den siegreichen Fortschritt der Staats-
gewalt und seines Rechts begründen. Man muß einsetzen mit
1 Über die Rezeption des r. R. außer Moddermann-Schulz (S.41,A. 1)
und G. von Below, Die Ursachen der Rezeption usw. (1905), die RGG. von
Schröder-von Künssberg6, S. 864—75; Brunner-Heymann7, S. 258ff.
Fehr, S. 201 ff.; von Schwerin2, S. 8f.
2 R. Scholz, Die Publizistik zur Zeit Philipps d. Sch. usw. (Kirchenr.
Abh., hrsg. von U. Stutz, 6/8, 1903), S. 24ff.
3 Moddermann-Schulz S. 79, Warnkönig-Stein 1, 426, 586, II, 58.
Wenn das Parlament sich später zur Stimme des Volkes auch gegen clen König
machte, zur Zeit des Absolutismus der einzigen Stimme, durch Verweigerung
der Einregistrierung', so beweist das nur, wie stark es mit der Nation ver-
bunden war.