Der Kampf des geistlichen und weltlichen Rechts.
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Im Kurfürstentum Sachsen, das zu den deutschen Gebieten
gehörte, wo der junge Territorialstaat sich am kräftigsten und
selbständigsten auch der Kirche gegenüber äußerte1, hatte am
10. Dezember 1520 der Wittenberger Mönch und Professor Luther
einen symbolischen Akt von höchster Bedeutung vollzogen: er hatte
das ganze ius pontificium, das ganze geistliche Recht, ins Feuer
geworfen und verbrannt, und, als den Spezialfall, der aus diesem
Rechte folgte, das römische Bannurteil gegen ihn selbst hinter-
drein geworfen: „weil Du die Wahrheit Gottes verstört hast, soll
Dich der Herr ins ewige Feuer werfen2.“ Es war die Ergänzung
dazu, daß der Mann vier Monate darauf, in der gleichen Stadt, von
der aus einst Heinrich IV. kraft seines theokratischen Amtes den
Papst abgesetzt hatte, auch der Staatsmacht, die sich zum Gerichts-
hof über Dinge der Religion aufwarf, sein Nein entgegenrief: wie
er sich dem Tribunal des Papstes und des Konzils entzogen hatte,
so widersetzte er sich nun dem des Kaisers und der Stände, also
auch seines Kurfürsten. Aus dieser Doppelentscheidung erwuchs
durch kleine und schwierige Anfänge hindurch erst eine neue deut-
sche, dann eine neue europäische und schließlich eine neue Welt-
lage. Für einen stetig wachsenden Teil der Christenheit, der sich
heute dem römisch-katholisch gebliebenen zahlenmäßig immer mehr
nähert, im wesentlichen den germanischen, verlor die ganze Frage
durch den bewußten Rückgriff auf die vorkatholischen Anfänge des
1 R. Zieschang, Die Anfänge eines landesherrlichen Kirchenregiments
in Sachsen am Ausgang des MA. (1909); P. Kirn, Friedrich d. W. und die
Kirche vor und nach 1519 (1926). Das Notrecht der Obrigkeit zum Ein-
greifen in die kirchlichen Dinge wurde schon vor der Reformation anerkannt
(s. Kirn S. 126) — auch der recursus ab abusu gehörte dazu, auf den sich
die Torgauer Artikel von 1530 (so die gaistlichen ihre iurisdiction mißbrauchen)
bezogen, ebenso wie auf das ius patronatus für die Stellenbesetzung (ed.
Kolde, Augsb. Konf.2, S. 142).
2 Luther an Spalatin 10. XII. 1520 (Luthers Briefwechsel, ed. Enders
III, 18); Agricoläs Aufzeichnung, ed. Perlbach u. Luther (Sitz.-Ber. der
Berliner Akademie, 1907, S. 95ff.). Er verbrannte omnes libri papae: Decretum,
Decretales, Sextum, Clementinas, Extravagantes et bullam novissimam Leonis X.
Vgl. namentlich H. Böhmer, L. u. d. 10. Dez. 1520 im Jahrb. der Luther-Ges.
1920/21, S. lff. Erasmus redete kurzerhand vom incendium decretalium (opp.
ed. Clericus III, 644). Justus Jonas, Heinrich Goedes Nachfolger seit 1521,
weigerte sich darauf, über kan. Recht zu lesen, da „der namen und das wort
der decretal und des bebstlichen rechten schier veracht ist und stinkt bei den
gelarten“ (Jonas Briefw. ed. Kawerau I, 63). Kirn S. 67ff.; auch H. v.
Schubert, Die weltgeschichtl. Bedeutung d. Ref. (1917), S. 6.
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Im Kurfürstentum Sachsen, das zu den deutschen Gebieten
gehörte, wo der junge Territorialstaat sich am kräftigsten und
selbständigsten auch der Kirche gegenüber äußerte1, hatte am
10. Dezember 1520 der Wittenberger Mönch und Professor Luther
einen symbolischen Akt von höchster Bedeutung vollzogen: er hatte
das ganze ius pontificium, das ganze geistliche Recht, ins Feuer
geworfen und verbrannt, und, als den Spezialfall, der aus diesem
Rechte folgte, das römische Bannurteil gegen ihn selbst hinter-
drein geworfen: „weil Du die Wahrheit Gottes verstört hast, soll
Dich der Herr ins ewige Feuer werfen2.“ Es war die Ergänzung
dazu, daß der Mann vier Monate darauf, in der gleichen Stadt, von
der aus einst Heinrich IV. kraft seines theokratischen Amtes den
Papst abgesetzt hatte, auch der Staatsmacht, die sich zum Gerichts-
hof über Dinge der Religion aufwarf, sein Nein entgegenrief: wie
er sich dem Tribunal des Papstes und des Konzils entzogen hatte,
so widersetzte er sich nun dem des Kaisers und der Stände, also
auch seines Kurfürsten. Aus dieser Doppelentscheidung erwuchs
durch kleine und schwierige Anfänge hindurch erst eine neue deut-
sche, dann eine neue europäische und schließlich eine neue Welt-
lage. Für einen stetig wachsenden Teil der Christenheit, der sich
heute dem römisch-katholisch gebliebenen zahlenmäßig immer mehr
nähert, im wesentlichen den germanischen, verlor die ganze Frage
durch den bewußten Rückgriff auf die vorkatholischen Anfänge des
1 R. Zieschang, Die Anfänge eines landesherrlichen Kirchenregiments
in Sachsen am Ausgang des MA. (1909); P. Kirn, Friedrich d. W. und die
Kirche vor und nach 1519 (1926). Das Notrecht der Obrigkeit zum Ein-
greifen in die kirchlichen Dinge wurde schon vor der Reformation anerkannt
(s. Kirn S. 126) — auch der recursus ab abusu gehörte dazu, auf den sich
die Torgauer Artikel von 1530 (so die gaistlichen ihre iurisdiction mißbrauchen)
bezogen, ebenso wie auf das ius patronatus für die Stellenbesetzung (ed.
Kolde, Augsb. Konf.2, S. 142).
2 Luther an Spalatin 10. XII. 1520 (Luthers Briefwechsel, ed. Enders
III, 18); Agricoläs Aufzeichnung, ed. Perlbach u. Luther (Sitz.-Ber. der
Berliner Akademie, 1907, S. 95ff.). Er verbrannte omnes libri papae: Decretum,
Decretales, Sextum, Clementinas, Extravagantes et bullam novissimam Leonis X.
Vgl. namentlich H. Böhmer, L. u. d. 10. Dez. 1520 im Jahrb. der Luther-Ges.
1920/21, S. lff. Erasmus redete kurzerhand vom incendium decretalium (opp.
ed. Clericus III, 644). Justus Jonas, Heinrich Goedes Nachfolger seit 1521,
weigerte sich darauf, über kan. Recht zu lesen, da „der namen und das wort
der decretal und des bebstlichen rechten schier veracht ist und stinkt bei den
gelarten“ (Jonas Briefw. ed. Kawerau I, 63). Kirn S. 67ff.; auch H. v.
Schubert, Die weltgeschichtl. Bedeutung d. Ref. (1917), S. 6.