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Schubert, Hans; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1926/27, 2. Abhandlung): Der Kampf des geistlichen und weltlichen Rechts — Heidelberg, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.38924#0060
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Hans v. Schubert:

Friede von 1648 anerkannte, regelte und förderte bei prinzipiellem
Festhalten des ius reformandi den Austausch der jetzt drei christ-
lichen Konfessionen zwischen den Territorien und ihre Beziehungen
in denselben. Das war gewiß zum Schaden der katholischen Kirche
und ihres Rechtes: ein Artikel des genannten Friedens suspendierte
die ,,ganze kirchliche Gerichtsbarkeit“ für alle Rechtsstreitigkeiten
nicht nur zwischen Protestanten, sondern zwischen Katholiken und
Protestanten, und der Schlußpassus sicherte die Gültigkeit des In-
struments im ganzen und einzelnen ausdrücklich auch gegen Ein-
sprüche des kanonischen Rechtes, der Konzilsbestimmungen, Or-
densregeln, päpstlichen Konkordate und jede Form der kirchlichen
wie der politischen Entscheidungen1. Aber umgekehrt konnte nun
doch eine friedliche Durchdringung der geschlossen protestantischen
Gebiete mit katholischen Elementen beginnen, denen überall jedes
bürgerliche Gewerbe und jede bürgerliche Rechtshandlung frei-
und zustand2. Ein entscheidender Schritt auf dem Wege zur
Toleranz in unserem Sinne des Wortes, zur individuellen Religions-
und Gewissensfreiheit gegenüber dem Staate, dessen Untertan man
ist, war damit auch in Deutschland getan; die Worte tolerare und
conscientia libera stehen schon in einer Bestimmung des Friedens
von 16483.
Zur selben Zeit setzte England zu dem eigentlichen großen
Durchbruch der individuellen Religionsfreiheit an. Wir wissen,
daß Luther in jener großen Stunde zu Worms sich auch auf sein
in der Schrift gebundenes Gewissen stellte und mit dem ,,Ich kann
nicht anders“ der ganzen ihn umgebenden Welt entgegentrat. Aber
es hatte in der Natur der Dinge gelegen, daß der hier grundsätzlich
vollzogenen Geltendmachung des religiösen Individualismus erst
einmal die Existenzmöglichkeit gegeben werden mußte, indem die
Stände des Reiches die Forderung der Bekenntnisfreiheit vom
einzelnen auf sich zogen und damit in ihren Territorien erst einen
und in denselbigen stellen gehalten werden, und derselben freien und reichsstett
bürger und andere einwohner, geistlich und weltlich stants, friedlich und ruhig
bei und nebeneinander wohnen und kein teil des anderen religion kirchenpreucli
und ceremonien abzutun oder ine darvon zu tringen untersten.
1 Neue und vollst. Sammlung der Reichsabschiede III, 574ff. (1747),
Hauptpunkte bei Mirbt S. 378ff., Art. V, § 48; XVII, § 3.
2 Art. Y, § 35.
3 Art. Y, § 34: beide Teile — patienter tolerentur et conscientia libera
domi devotioni suae sine inquisitione aut turbalione privatim vacare.
 
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