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Mitteis, Heinrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1926/27, 3. Abhandlung): Politische Prozesse des früheren Mittelalters in Deutschland und Frankreich — Heidelberg, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.38925#0011
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Politische Prozesse.

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ist es nie bestritten worden, bauen doch die Darstellungen der
französischen Rechtsgeschichte ausnahmslos auf der fränkischen
auf, wenn man sich auch gelegentlich des Eindrucks nicht erwehren
kann, daß der fränkischen Periode und insbesondere den germani-
schen Elementen in ihr ein zu schmaler Anteil an dem Gesamt-
aufbau der französischen Rechtsgeschichte' eingeräumt wird1.
1. Nun finden wir in keiner einzigen fränkischen Rechtsquelle
eine Behandlung des Kontumazialverfalirens ex professo. Auch die
Zusammenfügung einzelner Quellenstellen, die seiner Erwähnung
tun oder zu tun scheinen — denn oft ist gerade streitig, ob es sich
nicht um ein kontradiktorisches, ja ob es sich überhaupt um ein
prozessuales Verfahren handle2 — gibt kein gerundetes Bild. Aber
trotzdem ist die Lage nicht hoffnungslos. Denn wir besitzen immer-
hin einen so genauen Einblick in die beherrschenden Prinzipien des
fränkischen Prozeßrechts, daß wir hoffen dürfen, aus ihnen die
Regeln ableiten zu können, die für die Behandlung einer Partei im
Versäumnisverfahren gegolten haben müssen. Dabei ist zunächst die
Erkenntnis zu verwerten, daß das Prozeßrecht der fränkischen Zeit
nicht als ein einheitliches Ganzes aufgefaßt werden darf.
Aus der Systematik des modernen Zivilprozesses hat man in den neue-
ren Darstellungen der Rechtsgeschichte die Technik entlehnt, eine
bestimmte Verfahrensart als das „ordentliche“ Verfahren zu bezeich-
nen, der alle übrigen Erscheinungsformen des Rechtsganges als
„außerordentliche Prozeßarten“ nachgeordnet werden können3 * *.
Diese einem primitiven Rechtsdenken schwerlich gemäße Einstel-
lung muß so lange ein falsches Bild liefern, als sich mit ihr unwill-
kürlich das Werturteil verbindet, es sei eine Verfahrensart durch
zahlenmäßige Häufigkeit, oder durch besondere logische Durch-
bildung der Prozeßakte als das Regelverfahren charakterisiert, dem
gegenüber alle andern Prozeßarten als summarische eine Ausnahme
1 Ygl. meine Bemerkungen in ZRG. GA. 46 (1925), S. 538. Auf die
eigenartige Mentalität der franz. Geschichts- und Rechtsgeschichtsschreibung,
vor allem den Anteil Voltaires und Montesquieus daran, näher einzugehen,
bleibt anderer Gelegenheit Vorbehalten.
2 Das typische Beispiel ist LSal. 40 über den Knechtsprozeß. Vgl. dazu
die ausführliche Anmerkung in meinen „Studien“ S. 147.
3 Für alle R. Schröder, Lehrbuch6 § 37, wo S. 392ff. das „ordentliche“
Verfahren, S. 404ff. der Rest des Prozeßrechts in sieben Unterabteilungen
behandelt wird. Auch Mayer-Homberg, Die fränkischen Volksrechte, spricht
passim vom „ordentlichen“ Verfahren. Ebenso v. Schwerin, DRG. 175ff.
Neuestens für angelsächs. R. Bechert ZRG. 47 (1927) S. lff.
 
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