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Mitteis, Heinrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1926/27, 3. Abhandlung): Politische Prozesse des früheren Mittelalters in Deutschland und Frankreich — Heidelberg, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.38925#0012
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12

Heinrich Mitteis:

zu bilden hätten, nicht ohne sich aber aus jener Grundform ableiten
zu lassen. Die Wirklichkeit bietet keine so edle Harmonik, sondern
den linearen Kontrapunkt mehrerer völlig selbständig nebenein-
ander herlaufender Verfahrenstypen, deren jede nach einem andern
Zweckmoment orientiert und daher im Aufbau von den andern
grundverschieden ist1. Nun können wir allerdings für unsre Zwecke
sofort gewisse Ausscheidungen vornehmen. In gewissen Prozeß-
arten wird die Möglichkeit eines Kontumazialverfahrens kaum eine
Rolle spielen; so fallen für uns außer Betracht das vorwiegend rei-
persekutorisch orientierte Intertiationsverfahren2, das exekuti-
vische Gebotsverfahren, in dem der Ungehorsam wesentlich ma-
teriell-rechtliche Bedeutung hatte3, und endlich das Verfahren auf
handhabter Tat, das in seiner primären Gestalt die Bindung des
handhaften Täters zur Voraussetzung hatte, sofern es sich nicht
gar als Klage gegen den vor Gericht gebrachten Toten abspielte4.
Jedenfalls aber war die leitende Idee die der Reproduktion5 des
handhaften Delikts vor Gericht und diese konnte in Abwesenheit
des Täters nimmermehr gelingen.
2. Es bleibt also als Anwendungsbereich des Kontumazial-
verfahrens wesentlich übrig das Bußverfahren, gerade das,
welches man als das „ordentliche“ zu bezeichnen pflegt. In ihm
herrscht, entsprechend seinem ganzen Ursprung aus privater Fehde-

1 Es scheint mir das wesentlichste Verdienst Franz Beyerles zu sein,
in seinem Buche über das Entwicklungsproblem im germanischen Rechtsgang
(Bd. I: Sühne, Rache und Preisgabe in ihrer Beziehung zum Strafprozeß der
Volksrechte, Heidelberg 1915 = Deutschr. Beitr. X, 2) auf dieses Zweck-
moment als den treibenden Faktor der Rechtsentwicklung hingewiesen und
so auch hier teleologische Momente an die Stelle apriorischer Konstruktionen
gesetzt zu haben.
2 Dabei ist nur der Deutlichkeit halber darauf hinzuweisen, daß die durch
das Ausbleiben des Gewähren geschaffene prozessuale Situation des Beklagten
mit einer Kontumazierung nichts zu tun hat. So richtig Mayer-Homberg,
a. a. O., S. 272, N. 365. An der gelegentlichen Hereinbeziehung dieses Falles
leidet die Darstellung J. W. Plancks, Das deutsche Gerichtsverfahren des
MA., insbes. II S. 273, 282.
3 Sohm, Prozeß der L.Sal. (1867), S. 163ff.
4 Daß das im späteren MA. nicht so war, ein Versäumnisverfahren gegen
handhafte Täter also sehr wohl gedacht werden konnte, zeigt ein Blick in die
Quellensammlung „Handhaft und Blutrache“ von H. Planitz (1917), ins-
bes. § 7.
5 So Beyerle, a. a. O., S. 313. Weniger treffend spricht v. Schwerin
ZRG. 37, S. 528 von „Prolongation“.
 
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