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Mitteis, Heinrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1926/27, 3. Abhandlung): Politische Prozesse des früheren Mittelalters in Deutschland und Frankreich — Heidelberg, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.38925#0046
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Heinrich Mitteis:

judikation an den Kaiser diesem automatisch die Gewere ver-
schafft. Aber schon Heusler1 hat auf den Unterschied auf-
merksam gemacht, der zwischen der Adjudikation an den Lehns-
herrn und der Adjudikation an einen Vasallen besteht. Die letztere
muß durch reale Besitzeinweisung ergänzt werden, sonst ent-
steht keine Gewere. Mit der Übertragung der Gewere war aber das
Recht Heinrich Jasomirgotts noch nicht völlig erloschen; die In-
vestitur war, um in der Sprache der italienischen Urkunden zu
reden, ,,salva querela“ vorgenommen worden; binnen Jahr und
Tag konnte sich der Babenberger noch zu dem Gute ziehen. Dies
ist die Grundlage für die Vergleichsverhandlungen, die sich im
Juni 1156 anbahnen und im September zu dem berühmten Privi-
legium minus, zur Abspaltung des neugegründeten Herzogtums
Österreich führen. Die Erklärung des Beklagten, zu Recht stehen
zu wollen, hat den Prozeß in die frühere Lage zurückversetzt; daher
ist die provisorische Gewereübertragung an Heinrich den Löwen
hinfällig geworden, und die Urkunde spricht zu Recht von einer
„Auflassung“ Bayerns an den König, die nach Otto von Freising
mit sieben Fahnen geschah2.
Man hat vielfach daran Anstoß genommen, daß das Königs-
gericht Barbarossas eine vom Gericht seines Vorgängers in ent-
gegengesetztem Sinne entschiedene Sache nochmals zur Verhand-
lung brachte. Nach unsren prozessualen Auffassungen wäre dies
allerdings unmöglich, wenn man es wenigstens als richtig ansieht,
daß die Rechtskraft von Amts wegen zu berücksichtigen sei. Aber
daß es diesen scharfen dogmatischen Rechtskraftbegriff im 12. Jahr-
hundert noch nicht gegeben haben kann, liegt auf der Hand. Die
Rechtsbeständigkeit der Entscheidung ruht, wie schon gezeigt, auf
der ihr nachfolgenden Gewereübertragung. Aber selbst wenn diese
Gewere durch Zeitablauf schon zur „rechten“ Gewere geworden
war, so mußte sich doch stets der Beklagte auf sie berufen sowie
sich zum Beweise erbieten, wenn der Kläger sie nicht zugestanden
hatte3. War es dem Kläger schon möglich trotz der rechten Gewere
zu obsiegen, wenn der Beklagte sie nicht zu beweisen vermochte,
so mußte er erst recht im Versäumnisverfahren investiert werden
können. Von einer Berücksichtigung von Amts wegen kann keine
1 Institutionen II 37.
2 Otto Fris. II c 55, ed. Waitz-v.Simson, Rer. Germ. Scr. (1912),
p. 160.
3 Brunner, Forsch. 743.
 
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