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Heinrich Mitteis:
gesehen, daß in einem solchen Falle die land- und lehnrechtlichen
Quellen nur ein Kontumazialurteil im engsten Sinne des Wortes
zulassen, d. h. ein auf die Kontumaz als solche basiertes Urteil, das
eine Wertung der inkriminierten Tat nicht enthält, über das Schuld-
moment also auch nur insofern etwas aussagt, als die Versäumnis
— wie sofort gezeigt werden soll — selbst als verschuldet angesehen
wurde; die inkriminierte Tat selbst aber wird nicht zum Urteils-
inhalt erhoben, sie bildet nicht den Prozeßgegenstand, sondern
nur die Prozeß Veranlassung; ihretwegen wird die Ladungsbitte
an das Gericht gestellt, und ihretwegen ergeht dann die Ladung.
Halten wir uns streng an diesen Gedankengang, dann wäre es nicht
einmal ganz einwandfrei, von einer „Klage“ gegen Heinrich den
Löwen zu sprechen, da diese seine Anwesenheit und Einlassungs-
bereitschaft bei irgend einem der Termine vorausgesetzt hätte. Nun
ist allerdings bei Besprechung des fränkischen Königsrechtes gezeigt
worden, daß das Königsgericht schon in merowingischer Zeit eine
Annäherung an das Versäumnisverfahren nach Klagerhebung kannte
und auch im Ladungsungehorsamsverfahren zu einer Verurteilung
in der Sache selbst gelangte. Würden wir über den Prozeß Hein-
richs des Löwen nur historiographisches Material besitzen, so würden
wir ohne weiteres aus den Äußerungen zeitgenössischer Schrift-
steller dasselbe Ergebnis herauslesen können. Betrachten wir aber
die Gelnhäuser Urkunde für sich allein, so ergibt sich, daß das Hof-
gericht Barbarossas von dieser Möglichkeit gerade gegen diesen
prominentesten Reichsfürsten keinen Gebrauch gemacht hat. Das
ergibt sich schon aus der Tatsache, daß man sich im landrechtlichen
Verfahren mit einem einfachen Achtspruch gegen Heinrich be-
gnügte, ohne ihn zum manifestus hostis imperii zu erklären, wie
etwa im Falle Ekberts das Strafurteil wegen Hochverrats in den
Urkunden ausgedrückt wird. Ebenso wird die lehnrechtliche Ver-
urteilung lediglich auf die contumacia, das unentschuldigte Aus-
bleiben, gestützt. Daraus ergibt sich weiter, daß alle andern Gründe,
die die Urkunde gegen Heinrich noch ins Feld führt, nichts andres
sein können als Ladungsgründe. Zur Stützung dieser Ansicht
braucht man nur einmal den eigenartigen architektonischen Auf-
bau der narratio zu betrachten. Man sieht dann, daß die beiden
auf die citatio bezüglichen Phrasen gleichsam den Mittelpunkt
bilden, um den herum die Ladungs- und Urteilsgründe angeordnet
sind. Schematisch läßt sich das so darstellen:
Heinrich Mitteis:
gesehen, daß in einem solchen Falle die land- und lehnrechtlichen
Quellen nur ein Kontumazialurteil im engsten Sinne des Wortes
zulassen, d. h. ein auf die Kontumaz als solche basiertes Urteil, das
eine Wertung der inkriminierten Tat nicht enthält, über das Schuld-
moment also auch nur insofern etwas aussagt, als die Versäumnis
— wie sofort gezeigt werden soll — selbst als verschuldet angesehen
wurde; die inkriminierte Tat selbst aber wird nicht zum Urteils-
inhalt erhoben, sie bildet nicht den Prozeßgegenstand, sondern
nur die Prozeß Veranlassung; ihretwegen wird die Ladungsbitte
an das Gericht gestellt, und ihretwegen ergeht dann die Ladung.
Halten wir uns streng an diesen Gedankengang, dann wäre es nicht
einmal ganz einwandfrei, von einer „Klage“ gegen Heinrich den
Löwen zu sprechen, da diese seine Anwesenheit und Einlassungs-
bereitschaft bei irgend einem der Termine vorausgesetzt hätte. Nun
ist allerdings bei Besprechung des fränkischen Königsrechtes gezeigt
worden, daß das Königsgericht schon in merowingischer Zeit eine
Annäherung an das Versäumnisverfahren nach Klagerhebung kannte
und auch im Ladungsungehorsamsverfahren zu einer Verurteilung
in der Sache selbst gelangte. Würden wir über den Prozeß Hein-
richs des Löwen nur historiographisches Material besitzen, so würden
wir ohne weiteres aus den Äußerungen zeitgenössischer Schrift-
steller dasselbe Ergebnis herauslesen können. Betrachten wir aber
die Gelnhäuser Urkunde für sich allein, so ergibt sich, daß das Hof-
gericht Barbarossas von dieser Möglichkeit gerade gegen diesen
prominentesten Reichsfürsten keinen Gebrauch gemacht hat. Das
ergibt sich schon aus der Tatsache, daß man sich im landrechtlichen
Verfahren mit einem einfachen Achtspruch gegen Heinrich be-
gnügte, ohne ihn zum manifestus hostis imperii zu erklären, wie
etwa im Falle Ekberts das Strafurteil wegen Hochverrats in den
Urkunden ausgedrückt wird. Ebenso wird die lehnrechtliche Ver-
urteilung lediglich auf die contumacia, das unentschuldigte Aus-
bleiben, gestützt. Daraus ergibt sich weiter, daß alle andern Gründe,
die die Urkunde gegen Heinrich noch ins Feld führt, nichts andres
sein können als Ladungsgründe. Zur Stützung dieser Ansicht
braucht man nur einmal den eigenartigen architektonischen Auf-
bau der narratio zu betrachten. Man sieht dann, daß die beiden
auf die citatio bezüglichen Phrasen gleichsam den Mittelpunkt
bilden, um den herum die Ladungs- und Urteilsgründe angeordnet
sind. Schematisch läßt sich das so darstellen: