Politische Prozesse.
69
getreten sei. Dann würde evidens als „offenkundig, ersichtlich“ zu
deuten sein und könnte schließlich nichts andres bedeuten als das
Versitzen der Ladungen. Da nun der reatus selbst Ladungsgrund
im lehnrechtlichen Verfahren ist, kann es sich nur um den Ungehor-
sam gegen die Ladungen vor das Hofgericht des Kaisers im land-
rechtlichen Verfahren handeln1. Dafür bietet die Urkunde zunächst
einen höchst beachtlichen stilistischen Hinweis, indem sie das Aus-
bleiben vor dem Hofgericht in die Worte „majestciti nostre pre-
sentari contempserit“ faßt. Dadurch ist die spätere Erwähnung
des reatus maiestatis aufs beste vorbereitet. Liest man die Urkunde
unbefangen durch, so kann wohl kaum etwas natürlicher erscheinen
als die Rückbeziehung des evidens reatus maiestatis auf die im
Satze vorher erwähnte Verachtung der kaiserlichen Majestät. Es
handelt sich jetzt nur noch um den Nachweis der juristischen Mög-
lichkeit, das Ausbleiben auf Ladungen zu Gerichtstagen als reatus
maiestatis anzusehen. Und diesen Beweis hat mir schon der
Berufenste von allen vorweggenommen, Ficker nämlich, der in
seinen Forschungen zur Reichs- und Rechtsgeschichte Italiens diese
Auffassung ausführlich begründet hat2. Freilich hat er in seinem
Aufsatz von 1871 seinen Standpunkt zum Teil revidiert, aber jene
ältere Auffassung bleibt trotzdem zu Recht bestehen, insofern als
sie die Möglichkeit unsrer Betrachtungsweise rechtfertigt. Und den
einen Vorzug hat diese, daß sie die Urkunde nur aus sich selbst
erklärt und der Ökonomie und klaren Bewußtheit des Ausdrucks,
der in ihr herrscht, vollauf Rechnung trägt.
Wir gewinnen also aus der Gelnhäuser Urkunde folgendes Er-
gebnis: Es sind Heinrich dem Löwen seine Reichslehen abgespro-
chen worden, nachdem er drei Ladungen gegen das kaiserliche
Lehnsgericht böswillig nicht befolgt hatte.' Unter den Ladungs-
gründen des Lehnsprozesses steht als wichtigster der reatus maie-
statis, den er dadurch begangen hatte, daß er den Ladungen um
1 Biereye, Hist. Vjschr., 1918, 107ff. ist der Wahrheit nahe gekommen,
bezieht aber den reatus maiestatis irrig auf die Säumnis im Lehnsprozeß, weil
er konstruiert, daß der eo-quod-Satz wegen des Konjunktivs von „evidenti“
abhängen müßte. Aber dann, wenn er objektive Begründung der Ladung
wäre, würde er genau so im Indikativ stehen, wie der erste eo-quod-Satz.
Er steht im Konj., weil er die subjektive Begründung des Urteils (contumax
iudicatus) angibt.
2 I, S. 175ff. Vgl. für Frankreich auch Warnkoenig und Stein, Franz.
Staats- und Rechtsgeschichte III, S. 169: Der defaut eine Negation des Lehns-
bandes.
69
getreten sei. Dann würde evidens als „offenkundig, ersichtlich“ zu
deuten sein und könnte schließlich nichts andres bedeuten als das
Versitzen der Ladungen. Da nun der reatus selbst Ladungsgrund
im lehnrechtlichen Verfahren ist, kann es sich nur um den Ungehor-
sam gegen die Ladungen vor das Hofgericht des Kaisers im land-
rechtlichen Verfahren handeln1. Dafür bietet die Urkunde zunächst
einen höchst beachtlichen stilistischen Hinweis, indem sie das Aus-
bleiben vor dem Hofgericht in die Worte „majestciti nostre pre-
sentari contempserit“ faßt. Dadurch ist die spätere Erwähnung
des reatus maiestatis aufs beste vorbereitet. Liest man die Urkunde
unbefangen durch, so kann wohl kaum etwas natürlicher erscheinen
als die Rückbeziehung des evidens reatus maiestatis auf die im
Satze vorher erwähnte Verachtung der kaiserlichen Majestät. Es
handelt sich jetzt nur noch um den Nachweis der juristischen Mög-
lichkeit, das Ausbleiben auf Ladungen zu Gerichtstagen als reatus
maiestatis anzusehen. Und diesen Beweis hat mir schon der
Berufenste von allen vorweggenommen, Ficker nämlich, der in
seinen Forschungen zur Reichs- und Rechtsgeschichte Italiens diese
Auffassung ausführlich begründet hat2. Freilich hat er in seinem
Aufsatz von 1871 seinen Standpunkt zum Teil revidiert, aber jene
ältere Auffassung bleibt trotzdem zu Recht bestehen, insofern als
sie die Möglichkeit unsrer Betrachtungsweise rechtfertigt. Und den
einen Vorzug hat diese, daß sie die Urkunde nur aus sich selbst
erklärt und der Ökonomie und klaren Bewußtheit des Ausdrucks,
der in ihr herrscht, vollauf Rechnung trägt.
Wir gewinnen also aus der Gelnhäuser Urkunde folgendes Er-
gebnis: Es sind Heinrich dem Löwen seine Reichslehen abgespro-
chen worden, nachdem er drei Ladungen gegen das kaiserliche
Lehnsgericht böswillig nicht befolgt hatte.' Unter den Ladungs-
gründen des Lehnsprozesses steht als wichtigster der reatus maie-
statis, den er dadurch begangen hatte, daß er den Ladungen um
1 Biereye, Hist. Vjschr., 1918, 107ff. ist der Wahrheit nahe gekommen,
bezieht aber den reatus maiestatis irrig auf die Säumnis im Lehnsprozeß, weil
er konstruiert, daß der eo-quod-Satz wegen des Konjunktivs von „evidenti“
abhängen müßte. Aber dann, wenn er objektive Begründung der Ladung
wäre, würde er genau so im Indikativ stehen, wie der erste eo-quod-Satz.
Er steht im Konj., weil er die subjektive Begründung des Urteils (contumax
iudicatus) angibt.
2 I, S. 175ff. Vgl. für Frankreich auch Warnkoenig und Stein, Franz.
Staats- und Rechtsgeschichte III, S. 169: Der defaut eine Negation des Lehns-
bandes.