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Mitteis, Heinrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1926/27, 3. Abhandlung): Politische Prozesse des früheren Mittelalters in Deutschland und Frankreich — Heidelberg, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.38925#0074
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Heinrich Mitteis:

Lehnrecht bildet die Gelnhäuser Urkunde eines der markantesten
Dokumente einer neuen Ära. Zwar fehlen uns gerade für die Spät-
zeit Barbarossas noch die erforderlichen Urkundenpublikationen,
die uns über die innere Politik dieses Kaisers weitere Klarheit ver-
schaffen werden. Aber schon jetzt läßt sich vermuten, daß die in
der Gelnhäuser Urkunde zum ersten Male dokumentarisch fest-
gelegte Neuschaffung des jüngeren Reichsfürstenstandes nicht
nur einer Präzisierung des Sprachgebrauchs der königlichen Kanzlei
darstellt, sondern ein Stück eines groß angelegten, weit ausschauen-
den Reorganisationsplanes war. Seit dem Wormser Konkordat
waren die karolingischen Verfassungsgrundlagen vollends unter-
graben; durch das Lehnswesen war eine nicht mehr aufzuhaltende
soziale Umschichtung der Gesellschaft eingetreten. Es ist wohl
denkbar, daß Barbarossa in klarer Erkenntnis dieser Lage versuchen
wollte, die Reichsregierung auf die Machtmittel des Lehnrechts zu
basieren, und so der zentrifugalen Bewegung die Spitze abzu-
brechen, indem er die Konsequenzen aus ihr zog. Daher zeigt er
sich in dem wichtigsten politischen Prozeß gegen den mächtigsten
Mann im Reich an der Spitze seines Lehnshofs im vollen Glanze
seiner Stellung an der Spitze der Lehnshierarchie als Bewahrer der
Rechte des Herrn gegen den pflichtvergessenen Vasallen. Er mani-
festiert aller Welt gegenüber, daß an den Machtmitteln des Lehn-
rechts auch der mächtigste Vasall zerbricht, dem das Landrecht
mit seiner Tendenz zu fortwährender Milderung der Acht nichts
mehr anhaben konnte. Daher auch der großartige architektonische
Aufbau unserer Urkunde, in der alle materiellen Delikte nach Land-
und alle Vertragsverletzungen nach Lehnrecht, die gefühlsmäßig
vielleicht zu einer Aburteilung Heinrichs hätten führen können,
nur als Ladungsgründe erscheinen, während Urteilsgrundlage einzig
und allein die Kontumaz gegen das Lehnsgericht ist. Gerade weil
dieser Grund so formal, so streng juristisch ist, darum ist er so
unanfechtbar; gerade weil er so eindeutig ist, darum ist er so
wirkungsvoll. Auch hier ist es das Bestreben nach Publizität, nach
Sichtbarmachung innerer Vorgänge, der das Urteil auf eine vor
aller Augen liegende Tatsache (evidens reatus maiestatis) ge-
gründet sein läßt. Jede andre Interpretation der Urkunde ver-
wischt diese klare Linie und nimmt dem Urteil Barbarossas die
eisern geschlossene Schärfe seiner Begründung aus dem Geiste des
Lehnrechts.
 
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