Politische Prozesse.
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reich gegenüber, deren Last infolge der eigenartigen Verkettung
außenpolitischer mit innenpolitischen Beziehungen noch viel er-
drückender wirken mußte als die Machtstellung des Weifenhauses
in Deutschland. Und diese unselige Konstellation hatte sich in
wenigen Jahren, Katastrophenjahren der kapetingischen Dynastie,
gebildet. Seit 1110 waren Touraine-Anjou und Maine zu einem
Großlehen vereinigt; 1144 empfing Gottfried von Anjou die nor-
mannische Herzogskrone1 2; dann hatte 1152 die von Ludwig VII.
verstoßene Eleonore den Plantagenets Aquitanien und Poitou zu-
gebracht1, und seit 1154 bestand die Personalunion zwischen der
Normandie und England, die den unerträglichen Zustand zeitigte,
daß der größte Vasall des französischen Königs zugleich nahezu
unumschränkter Monarch eines rivalisierenden, in die internationale
Bündnispolitik verflochtenen Inselreiches wurde. Es mußte das
Ziel des französischen Königtums sein, sich so rasch als möglich
aus dieser „angevinischen Umklammerung“ zu befreien und das gibt
dem Prozeß gegen Johann ohne Land sein großes historisches Relief.
Der Gegenspieler Philipp Augusts, Johann I. (ohne Land)3,
war 1199 seinem Bruder Bichard Löwenherz4 in seine gesamte
englisch-angevinische Bechtsstellung nachgefolgt auf Grund eines
lange Zeit bestrittenen Sukzessionstitels5. Er hatte von Anfang an
1 Luchaire-Lavisse II, 2, p. 298, 299.
2 Luchaire-Lavisse III, 1, p. 30.
3 Den ominösen Beinamen erhielt Johann schon bei seiner Geburt als
Jüngster. ,,Antea quam jato fieres ludente monarcha Patris ab ore tui Sine-
Terra liomen habebas“ sagt die Philippis von ihm; vgl Kate Norgate, John
Lackland, 1902, p. 2.
4 Über Richard Löwenherz siehe jetzt zusammenfassend A. Cartel-
lieri in der Festschrift für Hoops (Germ. Bibi. II, 20), Heidelberg 1925,
S. 131 ff
5 Im privaten wie im Thronerbrecht Englands war es höchst bestritten,
ob ein Sohn den Sohn des vorverstorbenen älteren Bruders ausschließe oder
von ihm ausgeschlossen werde, also eine Kombination von Primogenitur-
erbrecht und Repräsentation gelte. Vgl. Glanvilla, Tract. de leg. et consuet.
VII 3 § 8 bei Philipps, Engl. Reichs- und Rechtsgesch. II, 395; Pollock
and Maitland, Hist, of English Law II, 263; Holdsworth, History of
English Law 3(1924) III, 175. Daher versuchte man später Johanns Stellung
auf Wahlrecht zu gründen (die berühmte Rede des Erzbischofs Hubert Walter
bei Matthäus Parisiensis ed. Luard [Rer. Britt. script.] II, 454 stammt
wohl von diesem, also keinem „Zeitgenossen“ Johanns, wie IJatschek, Eng-
lische Verfassungsgeschichte S. 66 schreibt, her; vgl. Else Gütschow, Inno-
zenz und England, 1903, S. 701); Maitland, English Gonstitutional history
(1920), p. 97.
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reich gegenüber, deren Last infolge der eigenartigen Verkettung
außenpolitischer mit innenpolitischen Beziehungen noch viel er-
drückender wirken mußte als die Machtstellung des Weifenhauses
in Deutschland. Und diese unselige Konstellation hatte sich in
wenigen Jahren, Katastrophenjahren der kapetingischen Dynastie,
gebildet. Seit 1110 waren Touraine-Anjou und Maine zu einem
Großlehen vereinigt; 1144 empfing Gottfried von Anjou die nor-
mannische Herzogskrone1 2; dann hatte 1152 die von Ludwig VII.
verstoßene Eleonore den Plantagenets Aquitanien und Poitou zu-
gebracht1, und seit 1154 bestand die Personalunion zwischen der
Normandie und England, die den unerträglichen Zustand zeitigte,
daß der größte Vasall des französischen Königs zugleich nahezu
unumschränkter Monarch eines rivalisierenden, in die internationale
Bündnispolitik verflochtenen Inselreiches wurde. Es mußte das
Ziel des französischen Königtums sein, sich so rasch als möglich
aus dieser „angevinischen Umklammerung“ zu befreien und das gibt
dem Prozeß gegen Johann ohne Land sein großes historisches Relief.
Der Gegenspieler Philipp Augusts, Johann I. (ohne Land)3,
war 1199 seinem Bruder Bichard Löwenherz4 in seine gesamte
englisch-angevinische Bechtsstellung nachgefolgt auf Grund eines
lange Zeit bestrittenen Sukzessionstitels5. Er hatte von Anfang an
1 Luchaire-Lavisse II, 2, p. 298, 299.
2 Luchaire-Lavisse III, 1, p. 30.
3 Den ominösen Beinamen erhielt Johann schon bei seiner Geburt als
Jüngster. ,,Antea quam jato fieres ludente monarcha Patris ab ore tui Sine-
Terra liomen habebas“ sagt die Philippis von ihm; vgl Kate Norgate, John
Lackland, 1902, p. 2.
4 Über Richard Löwenherz siehe jetzt zusammenfassend A. Cartel-
lieri in der Festschrift für Hoops (Germ. Bibi. II, 20), Heidelberg 1925,
S. 131 ff
5 Im privaten wie im Thronerbrecht Englands war es höchst bestritten,
ob ein Sohn den Sohn des vorverstorbenen älteren Bruders ausschließe oder
von ihm ausgeschlossen werde, also eine Kombination von Primogenitur-
erbrecht und Repräsentation gelte. Vgl. Glanvilla, Tract. de leg. et consuet.
VII 3 § 8 bei Philipps, Engl. Reichs- und Rechtsgesch. II, 395; Pollock
and Maitland, Hist, of English Law II, 263; Holdsworth, History of
English Law 3(1924) III, 175. Daher versuchte man später Johanns Stellung
auf Wahlrecht zu gründen (die berühmte Rede des Erzbischofs Hubert Walter
bei Matthäus Parisiensis ed. Luard [Rer. Britt. script.] II, 454 stammt
wohl von diesem, also keinem „Zeitgenossen“ Johanns, wie IJatschek, Eng-
lische Verfassungsgeschichte S. 66 schreibt, her; vgl. Else Gütschow, Inno-
zenz und England, 1903, S. 701); Maitland, English Gonstitutional history
(1920), p. 97.