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Mitteis, Heinrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1926/27, 3. Abhandlung): Politische Prozesse des früheren Mittelalters in Deutschland und Frankreich — Heidelberg, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.38925#0092
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92

Heinrich Mitteis:

keit der Quelle zu zweifeln1, wenn die Chronik von Coggeshall2 den
Inhalt des Urteils mit den Worten wiedergibt (a. a. 0., p. 136):
Tandem vero curia regis Franciae adunata adjudicavit regem
Angliae tota terra sua privandum quam hactenus de regibus
Franciae ipse et progenitores sui tenuerant, eo quod fere omnia ser-
vitia eisdem terris debita per longum tempus facere contempserant nec
domino suo in aliquibus obtemperare volebant.
Das Gericht hatte also im Versäumnisverfahren die
Aburteilung sämtlicher Lehen, auch der Normandie,
verfügt, da der König einen auf ganz allgemeine Gründe
der Lehnspflichtversäumnis gestützten Antrag gestellt
hatte. Wahre Urteilsgrundlage war die gerichtliche Säumnis und
nur sie, während die sonstigen, weiter zurückliegenden Pflicht-
widrigkeiten nur die Bedeutung von „Illustrationsfakten“ haben
konnten.
2. Hier ist es nun an der Zeit, einen Augenblick mit der Schil-
derung des konkreten Prozeßganges einzuhalten und einen Blick
auf die Spiegelung des befolgten Verfahrens in den zeitgenössischen
Rechtsquellen zu werfen. Seiner Struktur nach ist uns das Ver-
säumnisverfahren im Liegenschaftsprozeß — und um ein solches
handelt es sich bei unserm Lehnsprozeß — ja bereits von früher
her bekannt3. Auch hier liegt die Sache ähnlich wie in Deutsch-
land: ganz gleichzeitige Quellen können nicht beigebracht werden.
Die ersten eigentlich französischen Rechtsaufzeichnungen, die sich
mit dem Lehnsprozeß befassen — in Betracht kämen nebst den
Assisen von Jerusalem vor allem das Livres de Jostice et de Plet —
liegen in der Mitte des 13. Jahrhunderts. Heranzuziehen wären
ferner die ältesten normannischen Quellen, schon weil das nor-
mannische Recht das Heimatsrecht des Beklagten war. Aber selbst
da kommen wir nicht über 1218 zurück4, da sich das Kapitel über
1 Die Methode der Quellenverwertung Guilhiermoz’ wird von Petit-
Dutaillis a. a. O. p. 2 Nr. 4 scharf getadelt, m. E. zu Unrecht.
2 Daß diese Bezeichnung der üblichen „Radulphus von Coggeshall“ vor-
zuziehen ist, weist Petit-Dutaillis a. a. 0. p. 7 nach. Nach ihm hat Radul-
phus, Abt von Coggeshall, nur eine schichtenwuise entstandene und daher den
Ereignissen besonders nahestehende Klosterchronik redigiert.
3 Vgl. oben S. 22ff., 45ff.
4 Bezüglich der Datierung der normannischen Coutumiers verweise ich
auf Paul Viollet, Les Couturpiers de Normandie, Histpire litteraire de la
France XXXIII, 1906, p. 41—190. Diese bedeutende Arbeit ist in Deutsch-
land fast unbekannt geblieben, und leider hat sie auch Brunner in seiner 1909
 
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