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Mitteis, Heinrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1926/27, 3. Abhandlung): Politische Prozesse des früheren Mittelalters in Deutschland und Frankreich — Heidelberg, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.38925#0100
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100

Heinrich Mitteis:

Formell-rechtlich wendet er ein:
a) Johann sei nicht genügend geladen gewesen und habe nach
dem normannischen Herzogsprivileg nur an der Grenze zu erscheinen
gebraucht,
b) ein Abwesender habe überhaupt nicht zum Tode, sondern
nur zu einer geringeren Strafe, etwa zum Lehnsverlust, verurteilt
werden können:
sed propter contumaciam non solet quis puniri ad mortem nec
debet. Ergo barones Franciae non potuerunt judicare eum ad mortem,
sed sattem alio modo punire eum, per ablationem scilicet feodi sui
(a. a. 0., p. 659).
Die Gesandten bekämpfen jeden der päpstlichen Einwände
mit ausführlichen Repliken. Uns interessiert vor allem die auf den
letzten Punkt bezügliche, weil sie sich auf das Prinzip des Ver-
säumnisverfahrens bezieht. Der Vortrag der Gesandten lautet:
Consuetudo est in regno Franciae, quod ex quo aliquis accusatur
coram suo judice de tarn crudeli homicidio quod murdrum appellatur,
et ille qui accusatur non venit, nec modo legitimo se excusat, pro con-
victo habetur, et tamquam convictus per omnia judicatur, et etiam
ad mortem, ac si praesens esset.
Im weiteren Verlauf wendet sich die Verhandlung erbrecht-
lichen Fragen zu, die erst später gewürdigt werden sollen.
Was zunächst auffällt, das ist, daß Innozenz die Tatsache
einer Verurteilung wegen Mordes gar nicht anzweifelt; er bezweifelt
nur ihre Zulässigkeit —- also muß die juristische Möglichkeit
einer solchen bestanden haben, die Berufung der Franzosen auf
ihr Gewohnheitsrecht muß zu Recht geschehen sein. Und dem ist
auch so.
Schon das fränkische Ivönigsrecht hat im Versäumnisurteil
nicht schlechthin eine Friedlosigkeitserklärung wegen der Kon-
tumaz gesehen, sondern zugleich eine Bestrafung wegen der kon-
kreten, die Verfolgung veranlassenden Straftat. Das Urteil ist
Sachurteil, es besitzt prozessual gesprochen Feststellungswert1.
Aber diesen Satz könnten wir nicht verwerten, hätten wir nicht
gleichzeitige Quellenzeugnisse, die erweisen, daß er im beginnenden
13. Jahrhundert noch bekannt war oder vielleicht neu aus ähnlicher
Situation wie 600 Jahre früher herauswuchs. Freilich sind gerade
in den hier so wichtigen normannischen Quellen die Spuren sehr
geringfügig, aus dem Grunde nämlich, daß in vielen Fällen das

1 S. o. S. 18.
 
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