Politische Prozesse.
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nischen Bischöfe. So aber begnügt er sich mit der Erklärung, er
halte das Todesurteil für ungerecht, nur das Lehnsurteil für gerecht.
Völlig unhaltbar wird Petit-Dutaillis, wo er sich das Argu-
ment zu eigen macht, es habe sich damals ja auch um Strafvollzug
an Arthur handeln können. Er führt eine Äußerung Viollets1 ins
Feld, wonach Todesurteile oft ab irato gefällt werden und ,^ren-
nen! l’apparence de veritables assassinats“. Aber daß ein König
sein eigener Scharfrichter wurde, daß er die Strafe in trunknem
Zustand, bei Nacht und Nebel vollstreckte2 und die Leiche des
Gerichteten mit Steinen beschwert ins Wasser werfen ließ — eine
Schauerromantik, die an Verdis Rigoletto erinnert -—, dafür hat er
keine Parallele gebracht. Denn immer war die Justiz des Mittel-
alters wie die altgermanische getragen von dem Gedanken der
Publizität. Das Haus des Ächters soll mitten am Tage verbrannt
werden
ut videant omnes et singuli legalem justiciam Ducis et sibi
timeant hujus modi periculum incurrere,
sagen die Statuta et Consuetudines Normanniae. Was hingegen Jo-
hann getan hatte, das war murdrum, eine Verbrechenskategorie,
die die normannischen Quellen ganz klar umschreiben als heim-
liche Tötung3 ganz im Einklang mit seiner Bedeutung in anderen
Quellenkreisen.
Und hier steckt zugleich die einzige Inkonsequenz, die in
dem Vorbringen der Gesandten verborgen liegt: daß sie Johann
noch als homo ligius Philipp Augusts bezeichnen. Wir werden
sehen, daß das nicht stimmt. Johann war ratione delicti, nicht
ratione feudi geladen und im forum delicti commissi abgeurteilt
worden — und so hätten die Gesandten sich besser darauf berufen,
daß er als gemeiner Mörder der Strafgerichtsbarkeit des französi-
schen Königs unterstanden habe, nicht dessen Lehnshoheit.
Und nun frage ich: was ist wahrscheinlicher, daß Philipp sich
in die Verlegenheit setzte, den Papst belügen zu müssen, oder daß
er, beraten von Juristen, die gewohnt sind alle Eventualitäten in
Rechnung zu stellen, die Gelegenheit ergriff, die ihm der gegen
Johann bestehende Mordverdacht bot, um durch ein Kontumazial-
1 Hist, des institutions politiques et administratives de la France II, 209.
2 Quellen bei Cartellieri IY, 1, p. 150.
3 Stat. et cons. I, 70; Tardif I, p. 64: homicidium, sive clam factu?n
fuerit, quod lingua Dacorum murdrum dicitur. Die Stelle fällt besonders ins
Gewicht, da sie aus dem gerade 1203/4 abgefaßten Teile des Rechtsbuches
stammt, s. oben S. 90 A. 4.
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nischen Bischöfe. So aber begnügt er sich mit der Erklärung, er
halte das Todesurteil für ungerecht, nur das Lehnsurteil für gerecht.
Völlig unhaltbar wird Petit-Dutaillis, wo er sich das Argu-
ment zu eigen macht, es habe sich damals ja auch um Strafvollzug
an Arthur handeln können. Er führt eine Äußerung Viollets1 ins
Feld, wonach Todesurteile oft ab irato gefällt werden und ,^ren-
nen! l’apparence de veritables assassinats“. Aber daß ein König
sein eigener Scharfrichter wurde, daß er die Strafe in trunknem
Zustand, bei Nacht und Nebel vollstreckte2 und die Leiche des
Gerichteten mit Steinen beschwert ins Wasser werfen ließ — eine
Schauerromantik, die an Verdis Rigoletto erinnert -—, dafür hat er
keine Parallele gebracht. Denn immer war die Justiz des Mittel-
alters wie die altgermanische getragen von dem Gedanken der
Publizität. Das Haus des Ächters soll mitten am Tage verbrannt
werden
ut videant omnes et singuli legalem justiciam Ducis et sibi
timeant hujus modi periculum incurrere,
sagen die Statuta et Consuetudines Normanniae. Was hingegen Jo-
hann getan hatte, das war murdrum, eine Verbrechenskategorie,
die die normannischen Quellen ganz klar umschreiben als heim-
liche Tötung3 ganz im Einklang mit seiner Bedeutung in anderen
Quellenkreisen.
Und hier steckt zugleich die einzige Inkonsequenz, die in
dem Vorbringen der Gesandten verborgen liegt: daß sie Johann
noch als homo ligius Philipp Augusts bezeichnen. Wir werden
sehen, daß das nicht stimmt. Johann war ratione delicti, nicht
ratione feudi geladen und im forum delicti commissi abgeurteilt
worden — und so hätten die Gesandten sich besser darauf berufen,
daß er als gemeiner Mörder der Strafgerichtsbarkeit des französi-
schen Königs unterstanden habe, nicht dessen Lehnshoheit.
Und nun frage ich: was ist wahrscheinlicher, daß Philipp sich
in die Verlegenheit setzte, den Papst belügen zu müssen, oder daß
er, beraten von Juristen, die gewohnt sind alle Eventualitäten in
Rechnung zu stellen, die Gelegenheit ergriff, die ihm der gegen
Johann bestehende Mordverdacht bot, um durch ein Kontumazial-
1 Hist, des institutions politiques et administratives de la France II, 209.
2 Quellen bei Cartellieri IY, 1, p. 150.
3 Stat. et cons. I, 70; Tardif I, p. 64: homicidium, sive clam factu?n
fuerit, quod lingua Dacorum murdrum dicitur. Die Stelle fällt besonders ins
Gewicht, da sie aus dem gerade 1203/4 abgefaßten Teile des Rechtsbuches
stammt, s. oben S. 90 A. 4.