Politische Prozesse.
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In Deutschland bringt sich das Königtum selbst um die besten
Trophäen seines Siegs, indem Barbarossa den Besitz Heinrichs des
Löwen zersplittert und neu verteilt. Noch das Mainzer Fest von
1184 steht unter dem unmittelbaren Eindruck des königlichen Thri-
umphes über seinen mächtigsten Gegner. Aber wenige Jahre darauf
beginnt die Hydra der Selbständigkeitsbestrebungen auf dem ehe-
mals welfischen Machtgebiet ihre Häupter zu regen: Der Abfall
des Erzbischofs Philipp von Köln1, der die Erwartungen schlecht
belohnte, die der Diktator der Gelnhäuser Urkunde auf ihn gesetzt
hatte, seine englisch-dänische Bündnispolitik bringen den greisen
Kaiser in die größten Schwierigkeiten. Auf die großen, weltpoli-
tischen, heute wohl noch schwerlich ganz frei von Werturteilen
darstellbaren Probleme des Verhältnisses von Ost- und Mittelmeer-
politik soll dabei noch nicht einmal eingegangen werden. Soviel
läßt sich aber wohl mit Sicherheit sagen, daß der Prozeß Heinrichs
des Löwen aus der großen und verhängnisvollen Kausalkette, die
über die Doppelwahl von 1198 zu den fürstenfreundlichen Reichs-
gesetzen von 1220/1231 und weiter zur Auflösung der staatlichen
Einzelligkeit Deutschlands führte, nicht hinwegzudenken ist.
In Frankreich wuchs dem Königtum mit dem Erwerbe der
Normandie und der anderen aberkannten Gebiete ein riesiges Eigen-
gebiet zu. Mit einem Schlage war der König der größte Territorial-
herr seines Landes. Auf diesem neuen, dem Lehnrecht verdankten
Gebiete konnte sich das Königtum mit größter Kraft entfalten.
Es konnte eine eigene Gerichtsbarkeit und Verwaltung inaugu-
rieren, die ihm von vornherein das Übergewicht gegen die zentri-
fugalen Kräfte der Territorien gab. Die großartigen staatlichen
Einrichtungen der normannischen Herzoge konnten übernommen
oder nachgebildet werden. Die Staatlichkeit, die das normannische
Volk immer ausgezeichnet hatte, konnte überströmen auf das fran-
zösische. Die Bahn war frei, und auch die schweren Kämpfe eines
100 jährigen Krieges haben das Königtum nicht auf halten können
in seinem Siegeslauf.
Auf die großen Folgen, die das Urteil für die englische Ver-
fassungsentwicklung hatte, kann nur nebenbei hingewiesen werden.
Mit einem Schlage hatte der König alle seine festländischen Be-
sitzungen verloren. Er war seiner Subsidien von dort her beraubt,
ganz auf sich allein gestellt, Aug in Aug mit seinem Volk. Ohne
1 Vgl. Giesebrecht-Simson, Gesch. der dtsch. Kaiserzeit VI, 161 ff.,
662ff.
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In Deutschland bringt sich das Königtum selbst um die besten
Trophäen seines Siegs, indem Barbarossa den Besitz Heinrichs des
Löwen zersplittert und neu verteilt. Noch das Mainzer Fest von
1184 steht unter dem unmittelbaren Eindruck des königlichen Thri-
umphes über seinen mächtigsten Gegner. Aber wenige Jahre darauf
beginnt die Hydra der Selbständigkeitsbestrebungen auf dem ehe-
mals welfischen Machtgebiet ihre Häupter zu regen: Der Abfall
des Erzbischofs Philipp von Köln1, der die Erwartungen schlecht
belohnte, die der Diktator der Gelnhäuser Urkunde auf ihn gesetzt
hatte, seine englisch-dänische Bündnispolitik bringen den greisen
Kaiser in die größten Schwierigkeiten. Auf die großen, weltpoli-
tischen, heute wohl noch schwerlich ganz frei von Werturteilen
darstellbaren Probleme des Verhältnisses von Ost- und Mittelmeer-
politik soll dabei noch nicht einmal eingegangen werden. Soviel
läßt sich aber wohl mit Sicherheit sagen, daß der Prozeß Heinrichs
des Löwen aus der großen und verhängnisvollen Kausalkette, die
über die Doppelwahl von 1198 zu den fürstenfreundlichen Reichs-
gesetzen von 1220/1231 und weiter zur Auflösung der staatlichen
Einzelligkeit Deutschlands führte, nicht hinwegzudenken ist.
In Frankreich wuchs dem Königtum mit dem Erwerbe der
Normandie und der anderen aberkannten Gebiete ein riesiges Eigen-
gebiet zu. Mit einem Schlage war der König der größte Territorial-
herr seines Landes. Auf diesem neuen, dem Lehnrecht verdankten
Gebiete konnte sich das Königtum mit größter Kraft entfalten.
Es konnte eine eigene Gerichtsbarkeit und Verwaltung inaugu-
rieren, die ihm von vornherein das Übergewicht gegen die zentri-
fugalen Kräfte der Territorien gab. Die großartigen staatlichen
Einrichtungen der normannischen Herzoge konnten übernommen
oder nachgebildet werden. Die Staatlichkeit, die das normannische
Volk immer ausgezeichnet hatte, konnte überströmen auf das fran-
zösische. Die Bahn war frei, und auch die schweren Kämpfe eines
100 jährigen Krieges haben das Königtum nicht auf halten können
in seinem Siegeslauf.
Auf die großen Folgen, die das Urteil für die englische Ver-
fassungsentwicklung hatte, kann nur nebenbei hingewiesen werden.
Mit einem Schlage hatte der König alle seine festländischen Be-
sitzungen verloren. Er war seiner Subsidien von dort her beraubt,
ganz auf sich allein gestellt, Aug in Aug mit seinem Volk. Ohne
1 Vgl. Giesebrecht-Simson, Gesch. der dtsch. Kaiserzeit VI, 161 ff.,
662ff.