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Mitteis, Heinrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1926/27, 3. Abhandlung): Politische Prozesse des früheren Mittelalters in Deutschland und Frankreich — Heidelberg, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.38925#0122
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122

Heinrich Mitteis:

lieh war, gleichsam einer magnetischen Deklination unterlag, die
das französische Lehnrecht auszuschalten verstand. Aber noch
wissen wir nichts über die Kräfte, von denen jene Einwirkung auf
das Lehnrecht ausging. Ihre Ermittlung ist der schwierigste Teil
der ganzen Aufgabe, und auch hier können wir nur wagen, Ver-
mutungen zu äußern.
Schon Ficker1 hat gesehen, daß die Bestimmung, wonach der
König das erledigte Fahnlehen binnen Jahr und Tag wieder ver-
leihen soll, nur ein Ausfluß des allgemeinen Rechtssatzes ist, daß
ein Gerichtslehen nicht über eine bestimmte Zeit erledigt bleiben
darf. In neuester Zeit ist dieser Gedanke am energischesten von
Fehr2 durchgeführt worden. Er fußt darauf, daß die Gerichts-
lehen, also auch die Fahnlehen, einer Sonderbehandlung unter-
worfen sind; sie gehören nicht dem ,,reinen“, sondern dem „gemisch-
ten“, d.h. dem mit publizistischen Elementen durchsetzten Lehnrecht
an. Die sachenrechtlichen Momente treten zurück, es prävaliert
der Gedanke der Aufrechterhaltung der öffentlichen Rechtsordnung
und Gerichtsorganisation. Um derentwillen muß der König sich
dem Leihezwang unterwerfen.
Damit ist vielleicht die Richtung gewiesen, in der ein Erklä-
rungsversuch sich zu bewegen hätte. Aber ganz behoben sind die
Schwierigkeiten noch nicht. Denn, so könnte man fragen, wie ver-
trägt sich das mit der vom Sachsenspiegel immer noch als Verfas-
sungsgrundsatzbehandelten oberstrichterlichenStellungdes Königs ?
Wenn sich uns in diesem Rechtsbuch noch durchaus das Bild einer
„monarchischen“3 (besser wohl „monokratischen“) Gerichtsverfas-
sung bietet, wonach der König gemeiner Richter im Lande ist, dem
alle Gerichte ledig werden, wo er auch hofhält •— warum konnte er
nicht auch die Gerichte in den erledigten Lehen nunmehr in seine
königliche Selbstverwaltung nehmen ? Dieser Widerspruch kann
nur so gelöst werden, daß man annimmt, es haben im Hochmittel-
alter noch „autogene“ Gerichtsgewalten bestanden, die die Hoch-
gerichtsbarkeit unter der Decke der scheinbar noch fortlebenden
karolingischen Gerichtsorganisation zu völlig eignem Recht er-
worben hätten — und zwar nicht auf Grund rechtswidriger Usur-
pation, sondern auf Grund organischer Fortentwicklung der in der
Immunität liegenden Keime. Es ist das große Verdienst Hans
1 Entstehungszeit des Ssp., S. 132.
2 Die Staatsauffassung Eikes von Repgow, ZSav. 37, 176.
3 SCHRÖDER-VON KÜNSSBERG, D. RG. I, 593.
 
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