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Ernst Lohmeyer:
des Todes. Die erste Strophe spricht von der Art der göttlichen,,
die zweite von der der menschlichen Gestalt, die dritte von der
Vollendung der Menschlichkeit ,,bis zum Tode“. Die beiden
ersten dieser drei Stufen sind doppelt gekennzeichnet. Am klarsten
ist diese Doppelheit, die durch die Feierlichkeit des liturgischen
Gesanges mitbestimmt ist, in der zweiten Strophe: Die „Knechts-
gestalt“ korrespondiert mit gleichem Sinn der „Menschenähnlich-
keit“. Zu beiden steht in genauem, auch sprachlich ausgedrücktem
Gegensatz die „Gottesgestalt“ und das „Gott-gleich-sein“. So
legt sich der Schluß nahe, daß auch diese beiden Worte mit gleichem
Sinn aufeinander bezogen sind1 * *.
Nun ist es charakteristisch, daß die Gegensätze von Göttlich-
keit und Menschlichkeit allein nach ihrer Gestalthaftigkeit bezeich-
net sind. Nicht Sündigkeit und Heiligkeit, nicht Vergänglichkeit
und Unvergänglichkeit, nicht Macht und Ohnmacht treten einander
gegenüber, sondern eben menschliche und göttliche Gestalt. Der
menschlichen Gestalt gesellt sich wie ein dunkler Schatten der Tod;
so darf man schließen, daß mit dem Begriff der göttlichen Gestalt
der des Lebens sich notwendig verbindet. Diesem ersten Gegensatz
schließt sich alsbald ein zweiter an. Die göttliche Gestalt lebt in
der Sphäre des Seins, und dieses Sein ist zweimal ausgedrückt ;
die menschliche Gestalt in der des Werdens, und auch davon ist
zweimal die Rede. Werden und Tod definieren also die menschliche,
Sein und Leben die göttliche Gestalt. Der einheitliche Begriff,
der diese Gegensätze möglich macht, ist der der Gestalt; derjenige
der sie überwindet, ist der der reinen göttlichen Tat. So gehören
auch diese beiden Worte eng zusammen. Das Wesen dieser Gestalt
ist durch ihre Tat, die Tat durch die Eigentümlichkeit der Gestalt
bestimmt.
Mit diesen vorläufigen Beobachtungen sind nur die allgemeinen
Voraussetzungen getroffen, unter denen der Gedankengang des
Psalmes steht. Sie sind nicht unmittelbar aus gläubiger Erfahrung
gewonnen, sondern das Ergebnis eines theologischen Denkens.
Und dieses Denken ist durch keinerlei nationale oder geschichtliche
Bedingungen beengt, sondern reicht bis in die Tiefe letzter, nicht
überschreitbarer Grundsätze. Gott und Mensch, Leben und Tod,
Sein und Werden, das sind die äußersten und unüberwindbaren
1 Da der substantivierte Infinitiv zumeist nur dann im NT (wie im
Klassischen) steht, wenn er sich auf bereits Erwähntes bezieht, so ist der obige
Schluß auch grammatisch der nächste. Vgl. Blass-D ebr.5 § 399.
Ernst Lohmeyer:
des Todes. Die erste Strophe spricht von der Art der göttlichen,,
die zweite von der der menschlichen Gestalt, die dritte von der
Vollendung der Menschlichkeit ,,bis zum Tode“. Die beiden
ersten dieser drei Stufen sind doppelt gekennzeichnet. Am klarsten
ist diese Doppelheit, die durch die Feierlichkeit des liturgischen
Gesanges mitbestimmt ist, in der zweiten Strophe: Die „Knechts-
gestalt“ korrespondiert mit gleichem Sinn der „Menschenähnlich-
keit“. Zu beiden steht in genauem, auch sprachlich ausgedrücktem
Gegensatz die „Gottesgestalt“ und das „Gott-gleich-sein“. So
legt sich der Schluß nahe, daß auch diese beiden Worte mit gleichem
Sinn aufeinander bezogen sind1 * *.
Nun ist es charakteristisch, daß die Gegensätze von Göttlich-
keit und Menschlichkeit allein nach ihrer Gestalthaftigkeit bezeich-
net sind. Nicht Sündigkeit und Heiligkeit, nicht Vergänglichkeit
und Unvergänglichkeit, nicht Macht und Ohnmacht treten einander
gegenüber, sondern eben menschliche und göttliche Gestalt. Der
menschlichen Gestalt gesellt sich wie ein dunkler Schatten der Tod;
so darf man schließen, daß mit dem Begriff der göttlichen Gestalt
der des Lebens sich notwendig verbindet. Diesem ersten Gegensatz
schließt sich alsbald ein zweiter an. Die göttliche Gestalt lebt in
der Sphäre des Seins, und dieses Sein ist zweimal ausgedrückt ;
die menschliche Gestalt in der des Werdens, und auch davon ist
zweimal die Rede. Werden und Tod definieren also die menschliche,
Sein und Leben die göttliche Gestalt. Der einheitliche Begriff,
der diese Gegensätze möglich macht, ist der der Gestalt; derjenige
der sie überwindet, ist der der reinen göttlichen Tat. So gehören
auch diese beiden Worte eng zusammen. Das Wesen dieser Gestalt
ist durch ihre Tat, die Tat durch die Eigentümlichkeit der Gestalt
bestimmt.
Mit diesen vorläufigen Beobachtungen sind nur die allgemeinen
Voraussetzungen getroffen, unter denen der Gedankengang des
Psalmes steht. Sie sind nicht unmittelbar aus gläubiger Erfahrung
gewonnen, sondern das Ergebnis eines theologischen Denkens.
Und dieses Denken ist durch keinerlei nationale oder geschichtliche
Bedingungen beengt, sondern reicht bis in die Tiefe letzter, nicht
überschreitbarer Grundsätze. Gott und Mensch, Leben und Tod,
Sein und Werden, das sind die äußersten und unüberwindbaren
1 Da der substantivierte Infinitiv zumeist nur dann im NT (wie im
Klassischen) steht, wenn er sich auf bereits Erwähntes bezieht, so ist der obige
Schluß auch grammatisch der nächste. Vgl. Blass-D ebr.5 § 399.