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Lohmeyer, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1927/28, 4. Abhandlung): Kyrios Jesus: eine Untersuchung zu Phil. 2,5-11 — Heidelberg, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.38938#0016
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16

Ernst Lohmeyer:

Denn nur an einer Gestalt und durch eine Gestalt ist die Tat mög-
lich. Aber darin wird die Tat selbst abhängig von der Gegebenheit
dieser Gestalt, sie büßt gleichsam ihre eigene Freiheit und Selbst-
mächtigkeit ein. In solcher Umkehrung muß dann die metaphy-
sisch bestimmte Beziehung von Gestalt und Tat zu dem vollendeten
Widerpart der biologisch bestimmten werden. Hier ist der reine
Gegensatz zu jener ersten Welt, hier ist nicht „Leben“, sondern
„Tod“, nicht Göttliches, sondern Menschliches, hier ist alles Tun
das Gegenteil einer religiös-ethischen Tat. So wird aus der Bezie-
hung von Gestalt und Tat und ihrer metaphysischen Bestimmung
die Notwendigkeit der Gegensätze von Gott und Mensch, von
Himmel und Erde ersichtlich. So wird aber auch deutlich, daß die
irdische Welt nicht ein gleichsam isoliertes und unbekümmertes
Dasein für sich in solchem Gegensätze zu führen vermag. Denn
sie bedeutet ja die Verkehrung eines prinzipiellen und allein gültigen
Verhältnisses. Um der einzigen Wahrheit dieser Beziehung willen,
in der die gläubige Tat das Wesen der Gestalt bestimmt, muß
eben diese Wahrheit das ihr bestimmte „Ziel“ sein. Der Gedanke
eines teleologischen „Werdens“ ist ihr also zugeordnet, und dieses
Werden kann nur zur Aufhebung ihres eigenen naturhaften Daseins
führen. Darum ist ihr dieses Ziel auch nicht durch ihr eigenes Tun
zugänglich, sondern wie es jetzt notwendig wird, durch das Wirken
jener anderen Welt, in der die Reinheit des Tuns ewig gesichert
ist und das Tun immer schon Ziel bedeutet. Aus dem Grunde
dieser theoretischen Voraussetzungen erhebt sich damit die Not-
wendigkeit des Mythos; und in solchem Mythos kann es sich nur
um die religiös-metaphysische Deutung der Existenz von Welt
und Menschen handeln.
Es ist möglich, diese Zusammenhänge noch konkreter zu
fassen und geschichtlich zu bestimmen. Die erste Strophe des
Psalmes spricht davon, daß Christus „es nicht für einen Raub hielt,
Gott gleich zu sein“. Wie man auch die dunklen Worte näher
deuten möge, sie sprechen von dem „Gott-gleich-sein“ als der
möglichen Folge eines ethisch gewerteten Entschlusses. Es handelt
sich hier noch nicht darum, ob dieses Für-einen-Raub-halten
tatsächlich geschehen oder nicht geschehen ist, sondern um die
diesen Worten zugrunde liegende Bedingung, daß ethisches Handeln
ein göttlich substantiales Dasein schaffe. Sie ist hier deutlich
gegeben. Das „Gott-gleich-sein“ ist an die ethische Setzung ge-
bunden, oder mit anderen Worten, ihre «Norm ruft es ins Dasein
 
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