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Ernst Lohmeyer:
„Geworden ist das Königtum
Unseres Herrn und seines Gesalbten,
Und sein Königtum wird sein
In aller Zeiten“.
Auch in solcher Schilderung sind ursprüngliche Motive des
Lebens und Wirkens Jesu bewahrt, der in bekanntem Worte seine
Verkündigung als den „Sturz des Satans vom Himmel“ (Lk. 10, 18)
gekennzeichnet hat. Und sie sind gleicherweise in dem johanne-
ischen wie den synoptischen Evangelien erhalten. Aber welcher
sachlichen Art und welchen geschichtlichen Ursprunges sind diese
Motive, die den Gedankengang auch dieses Psalmes bestimmen ?
Es ist wohl ohne jeden Zweifel der Gedanke des Menschensoh-
nes, der diesen Kreis von Darstellungen ermöglicht. Mit ihm ist
schon in den danielischen Menschensohnliedern die Erwartung
gesetzt, daß sein Kommen die Aufrichtung einer ewigen Gottes-
herrschaft bedeute. Das Thema, wie der Menschensohn zur Gottes-
herrschaft gelange, ist also traditionell; und diese traditionelle
Gegebenheit setzt von vorn herein die Wahrscheinlichkeit, daß auch
in diesem Liede irgendwie vom Menschensohn die Rede sein muß.
Sie bestätigt also die Deutung des co<; avüpoiTroc, die exegetische
Gründe forderten. Aber hier handelt es sich nicht mehr um ein
rein apokalyptisches Werk, sondern um ein geschichtliches Werk
des Menschensohnes. Woher stammt diese Veränderung der
Anschauung? Nun ist schon bei Daniel c. 7 der Titel „Menschen-
sohn“ aus seiner rein apokalyptischen Funktion nicht erklärbar1;
ein Name wie „Gottessohn“ oder ein ähnlicher wäre eher zu erwarten
als dieser, der einen Bezug auf das Mensch-sein und damit auf die
Geschichte hat. Es kann deshalb in der rein apokalyptischen Ver-
wertung dieses Namens, noch dazu für das „Volk der Heiligen“
nur eine andersartige Tradition gewaltsam umgedeutet sein; und
sie muß von dem Mensch-sein einer göttlichen Gestalt berichtet
haben. Nahe hegt dann der Gedanke an den Mythos von dem Ur-
menschen als dem göttlichen Erlöser2. Denn in ihm finden sich zum
1 Geschweige denn aus seinem Gegensatz zu den „Tieren“; denn der
Name Menschensohn begegnet in fest geprägten, also wohl überkommenen
Liedern, die Tiervisionen gehören der prosaischen Schicht des Werkes an.
Vgl. auch H. H. Schaeder, Studien zum antiken Synkretismus 307ff.
2 S. dazu Reitzenstein, Iranisches Erlösungsmysterium, passim,
W. Bauer im Kommentar zum Ev. Joh.2 (Hdbch. z. NT), Bultmann, ZNTW
1925, 100fr.u. Carl H. Kraeling, Anthropos and Son of Man, New-York 1927.
Ernst Lohmeyer:
„Geworden ist das Königtum
Unseres Herrn und seines Gesalbten,
Und sein Königtum wird sein
In aller Zeiten“.
Auch in solcher Schilderung sind ursprüngliche Motive des
Lebens und Wirkens Jesu bewahrt, der in bekanntem Worte seine
Verkündigung als den „Sturz des Satans vom Himmel“ (Lk. 10, 18)
gekennzeichnet hat. Und sie sind gleicherweise in dem johanne-
ischen wie den synoptischen Evangelien erhalten. Aber welcher
sachlichen Art und welchen geschichtlichen Ursprunges sind diese
Motive, die den Gedankengang auch dieses Psalmes bestimmen ?
Es ist wohl ohne jeden Zweifel der Gedanke des Menschensoh-
nes, der diesen Kreis von Darstellungen ermöglicht. Mit ihm ist
schon in den danielischen Menschensohnliedern die Erwartung
gesetzt, daß sein Kommen die Aufrichtung einer ewigen Gottes-
herrschaft bedeute. Das Thema, wie der Menschensohn zur Gottes-
herrschaft gelange, ist also traditionell; und diese traditionelle
Gegebenheit setzt von vorn herein die Wahrscheinlichkeit, daß auch
in diesem Liede irgendwie vom Menschensohn die Rede sein muß.
Sie bestätigt also die Deutung des co<; avüpoiTroc, die exegetische
Gründe forderten. Aber hier handelt es sich nicht mehr um ein
rein apokalyptisches Werk, sondern um ein geschichtliches Werk
des Menschensohnes. Woher stammt diese Veränderung der
Anschauung? Nun ist schon bei Daniel c. 7 der Titel „Menschen-
sohn“ aus seiner rein apokalyptischen Funktion nicht erklärbar1;
ein Name wie „Gottessohn“ oder ein ähnlicher wäre eher zu erwarten
als dieser, der einen Bezug auf das Mensch-sein und damit auf die
Geschichte hat. Es kann deshalb in der rein apokalyptischen Ver-
wertung dieses Namens, noch dazu für das „Volk der Heiligen“
nur eine andersartige Tradition gewaltsam umgedeutet sein; und
sie muß von dem Mensch-sein einer göttlichen Gestalt berichtet
haben. Nahe hegt dann der Gedanke an den Mythos von dem Ur-
menschen als dem göttlichen Erlöser2. Denn in ihm finden sich zum
1 Geschweige denn aus seinem Gegensatz zu den „Tieren“; denn der
Name Menschensohn begegnet in fest geprägten, also wohl überkommenen
Liedern, die Tiervisionen gehören der prosaischen Schicht des Werkes an.
Vgl. auch H. H. Schaeder, Studien zum antiken Synkretismus 307ff.
2 S. dazu Reitzenstein, Iranisches Erlösungsmysterium, passim,
W. Bauer im Kommentar zum Ev. Joh.2 (Hdbch. z. NT), Bultmann, ZNTW
1925, 100fr.u. Carl H. Kraeling, Anthropos and Son of Man, New-York 1927.