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Ernst Lohmeyer:
die von der Präexistenz des Sohnes Gottes sprechen, oder des
Johannes, der von dem zeitlosen Sein des Logos weiß; sie ist unbe-
stimmter auch als die Deutung der synoptischen Evangelien, die an
die Verleihung des Geistes in der Taufe Würde und Geheimnis
dieser Gestalt knüpfen. Sie können es, weil ihnen nicht in gleich
starker Ausprägung kosmische Zusammenhänge, sondern geschicht-
lich und national gegebene Messiaserwartungen zugrunde liegen.
Es bleibt die zweite Frage nach dem religiösen Sinn des Todes.
Sie ist nicht schon mit der ersten gelöst. Denn diese klärt wohl,
wie ein Göttliches in den Zusammenhang der Geschichte eintreten
und in ihm sich erhalten, nicht aber wie es auch im Tode enden
könne. Ist jene Frage durch das Moment der Präexistenz gelöst,
so dieses durch das der Postexistenz. In beiden drückt sich nur die
alle Geschichte ermöglichende und überwindende Zeitlosigkeit des
Göttlichen aus, in ihr liegt darum die Leben und Tod dieser Gestalt
einheitlich zusammenfassende Bedingung. So ist also die Prä-
existenz das gleiche wie die Postexistenz, und muß dennoch, da
beide durch ein geschichtliches Leben und Sterben gleichsam ge-
schieden sind, ein anderes sein. Es bezeichnet die Stärke, mit der
dieser Psalm das geschichtliche Dasein zu dem unveräußerlichen
Grunde seiner Betrachtung macht, wenn die Verbindung zwischen
den Formen der Präexistenz und Postexistenz nur leise und scheu
gezogen wird. Sie stehen in dem Verhältnis von verborgenem Sinn
und offenbarer Wirklichkeit, und dieses Verhältnis ist bestimmt
durch ein göttliches Gesetz, das schlechthin als gegeben hingenom-
men und darum nur flüchtig angedeutet wird. So erhebt sich denn
auch hier die Frage, wodurch die Identität des Menschensohnes
mit dem Kyrios verbürgt sei. Sie ist auch hier nicht substantial
gedacht, sie ruht hier nicht einmal auf der Reinheit einer ethischen
Tat dieser Gestalt, sondern ist allein in einer Handlung Gottes ver-
bürgt. Der Menschensohn war ,,bis zum Tode“ gehorsam, nun
entsteht aus dem Tode im Wunder der Erhöhung der Kyrios.
Wieder zeigt sich hier, wie dogmatisch unbestimmt diese Deutung
ist. Noch kann nicht, wie das vierte Evangelium das tut, von dem
,,Hingang zum Vater“ als einer selbstmächtigen Tat dieser Gestalt
gesprochen werden, sondern es muß mit den archaischen Worten
der Apostelgeschichte gesagt werden: „Diesen Jesus hat Gott zum
Herrn und Christus gemacht“. Diese reden freilich dann nicht
von einem Jesus, der wie andere ein geschichtlicher Mensch, sondern
von dem einen, der gerade in seiner Menschlichkeit „der Menschen-
Ernst Lohmeyer:
die von der Präexistenz des Sohnes Gottes sprechen, oder des
Johannes, der von dem zeitlosen Sein des Logos weiß; sie ist unbe-
stimmter auch als die Deutung der synoptischen Evangelien, die an
die Verleihung des Geistes in der Taufe Würde und Geheimnis
dieser Gestalt knüpfen. Sie können es, weil ihnen nicht in gleich
starker Ausprägung kosmische Zusammenhänge, sondern geschicht-
lich und national gegebene Messiaserwartungen zugrunde liegen.
Es bleibt die zweite Frage nach dem religiösen Sinn des Todes.
Sie ist nicht schon mit der ersten gelöst. Denn diese klärt wohl,
wie ein Göttliches in den Zusammenhang der Geschichte eintreten
und in ihm sich erhalten, nicht aber wie es auch im Tode enden
könne. Ist jene Frage durch das Moment der Präexistenz gelöst,
so dieses durch das der Postexistenz. In beiden drückt sich nur die
alle Geschichte ermöglichende und überwindende Zeitlosigkeit des
Göttlichen aus, in ihr liegt darum die Leben und Tod dieser Gestalt
einheitlich zusammenfassende Bedingung. So ist also die Prä-
existenz das gleiche wie die Postexistenz, und muß dennoch, da
beide durch ein geschichtliches Leben und Sterben gleichsam ge-
schieden sind, ein anderes sein. Es bezeichnet die Stärke, mit der
dieser Psalm das geschichtliche Dasein zu dem unveräußerlichen
Grunde seiner Betrachtung macht, wenn die Verbindung zwischen
den Formen der Präexistenz und Postexistenz nur leise und scheu
gezogen wird. Sie stehen in dem Verhältnis von verborgenem Sinn
und offenbarer Wirklichkeit, und dieses Verhältnis ist bestimmt
durch ein göttliches Gesetz, das schlechthin als gegeben hingenom-
men und darum nur flüchtig angedeutet wird. So erhebt sich denn
auch hier die Frage, wodurch die Identität des Menschensohnes
mit dem Kyrios verbürgt sei. Sie ist auch hier nicht substantial
gedacht, sie ruht hier nicht einmal auf der Reinheit einer ethischen
Tat dieser Gestalt, sondern ist allein in einer Handlung Gottes ver-
bürgt. Der Menschensohn war ,,bis zum Tode“ gehorsam, nun
entsteht aus dem Tode im Wunder der Erhöhung der Kyrios.
Wieder zeigt sich hier, wie dogmatisch unbestimmt diese Deutung
ist. Noch kann nicht, wie das vierte Evangelium das tut, von dem
,,Hingang zum Vater“ als einer selbstmächtigen Tat dieser Gestalt
gesprochen werden, sondern es muß mit den archaischen Worten
der Apostelgeschichte gesagt werden: „Diesen Jesus hat Gott zum
Herrn und Christus gemacht“. Diese reden freilich dann nicht
von einem Jesus, der wie andere ein geschichtlicher Mensch, sondern
von dem einen, der gerade in seiner Menschlichkeit „der Menschen-