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Lohmeyer, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1927/28, 4. Abhandlung): Kyrios Jesus: eine Untersuchung zu Phil. 2,5-11 — Heidelberg, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.38938#0076
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76

Ernst Lohmeyer:

Deutlichkeit. Und welche Anschauung macht sie zu solcher Vor-
stufe ? Es ist der Begriff des Menschensohnes, der diese Folgerun-
gen möglich und notwendig macht; in ihm liegen die Motive des
Logosgedankens. So treibt ein apokalyptischer Glaube, der an der
Gestalt Jesu zu geschichtlich bestimmtem Glauben geworden ist,
zur johanneischen Gnosis. Es. ist darum kein Zufall, daß im vierten
Evangelium der Name Logos nur im Prolog erscheint, und hernach
in der Erzählung vor allem durch den Begriff des Menschensohnes
abgelöst wird; und es ist noch weniger zufällig, daß in der Apok.
Joh. außer dem Symbol vom Lamme nur zwei deutliche Namen
begegnen: „wie ein Menschensohn“ und. „das Wort Gottes“; und
beide sind zusammengefaßt in dem letzten und größten Namen:
ßaoiksup tcov ßaaikscov xa! xupiot; töv xophov.
So sind denn die drei Namen Menschensohn, Kyrios und
Logos unlöslich verbunden. Mit jedem von ihnen sind auch die
beiden anderen sachlich gesetzt. Nun ist der Menschensohnglaube
der älteste, der auch in jüdischer Apokalyptik bezeugt ist. So
liegt in ihm die Wurzel, aus der sich im Urchristentum die Kyrios-
betrachtung wie die Logosspekulation entwickelt hat. Paulus hat
die Fülle dessen, was im Menschensohnglauben enthalten war, nur
in dem Namen des Kyrios gefaßt. Er hat, wie wir aus dieser Stelle
entnehmen können, den Namen „Menschensohn“ vermieden und
zugunsten des anderen „Gottessohn“ zurückgedrängt, der in
hellenistischer Umgebung verständlicher war. Johannes hat die
gleiche Fülle in dem Begriff des Logos erhalten, aber er hat zugleich
auch den Namen und Inhalt des Menschensohngedankens deutlich
bewahrt. Er steht also dem jüdischen Glauben und der ältesten
Christusfrömmigkeit näher als Paulus, da er das Überkommene
bewahrte, indem er seine Motive weiter bildete. Paulus hat das
Alte in seiner Frömmigkeit abgetan, und wie er seine Mission von
dem Boden Palästinas löste, so auch die überkommenen Christus-
gedanken in Formen gefaßt, die nicht nur jüdischem, sondern auch
hellenistischem Denken faßbar waren. So ist J ohannes der Erhalter,
Paulus der Neuerer. Jener wächst gleichsam organisch aus dem
apokalyptischen Erbe seiner Heimat zu der Weltweite des Logos-
gedankens, dieser hat den Bruch mit ihr vollzogen und lebt doch
gerade in diesem Bruch von den Mächten, die in Leben und Denken
seine Heimat ihm übergab. Es ist die ungemeine Bedeutung dieses
Psalmes, daß er, gleichsam vor Paulus und Johannes stehend,
die Wege weist, die zu beider Denken führen.
 
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