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Lohmeyer, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1927/28, 4. Abhandlung): Kyrios Jesus: eine Untersuchung zu Phil. 2,5-11 — Heidelberg, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.38938#0084
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84

Ernst Lohmeyer:

VIII.
Es wäre lehrreich, der geschlossenen Christologie des Psalmes
auch die Christusanschauung der synoptischen Evangelien gegen-
überzustellen. Daß auch hier verbindende Linien zu ziehen sind,
wird allein schon aus der mannigfaltigen Verwendung des Wortes
„Menschensohn“ deutlich, die in ihnen gesetzt ist. Sie im einzelnen
nachzuzeichnen ist hier nicht möglich. Aber das wird unmittelbar
deutlich, daß hier ein neuer Gesichtspunkt auftritt, das Geheimnis
dieser Menschensohngestalt zu lösen; er liegt in dem Begriff des Gei-
stes Gottes. Es ist die Eigenart der synoptischen Evangelien, daß
sie durch diesen Begriff die göttliche Art Christi in seinem geschicht-
lichen Dasein zu verdeutlichen suchen; die Geschichte der Taufe
und der Versuchung, manche Worte Jesu sind deutliche Beweise.
Sie wenden sich damit einem Problem zu, von dem der Philipper-
psalm nur in einer kurzen Zeile und in einem Partizipialsatz spricht:
G/jjpom supsEsG avEpcoTO^, und suchen, was in dieser geschicht-
lichen Haltung des Menschensohnes als göttliche Art lebendig und
wirksam „erfunden ward“, als Gottes Geist zu definieren. So
knüpfen sie an eine Frage an, die der Psalm wohl stellt, aber nicht
beantwortet. Sie wenden sich in anderer Weise wieder der Ge-
schichte zu, wie der Hebräerbrief; hier war es die Geschichte der
Gemeinde in Vergangenheit und Gegenwart; dort ist es die Ge-
schichte des Herrn der Gemeinde in der Vergangenheit. Weshalb
die synoptischen Evangelien diese in der Geschichte gesetzte Frage
durch den Begriff des Geistes, in dem also die Möglichkeit einer
geschichtlichen Offenbarung gesetzt sein muß, zu beantworten
versuchen, kann hier nicht mehr' untersucht werden. Aber die
Tatsache dieser anderen Antwort genügt, um eine letzte Eigentüm-
lichkeit unseres Psalmes erkennen zu lassen. In ihm ist offensicht-
lich nur eine Seite urchristlicher Christologie entwickelt. Er selbst
deutet in seinem triumphierenden Schluß noch eine zweite Seite
an; nicht Kyrios Jesus lautet das Bekenntnis, sondern Kyrios
Jesus Christos. In dieser Christusbetrachtung treten der kosmi-
schen Menschensohnanschauung die nationalen, an das eine Volk
Israel gebundenen Messiaserwartungen gegenüber, und diese sind
es, deren Schranken der urchristliche Begriff des Geistes von neuem
überwindet, deren unvergänglichen Gehalt er bewahrt. Beide
Betrachtungen gehen also in der Urgemeinde nebeneinander her.
Dieser Psalm hat sich rein auf die Seite des Menschensohnglaubens
gestellt und hat die Messiasanschauung nur mehr in dem zum
Eigennamen erstarrten Titel Christus erhalten.
 
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