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Lohmeyer, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1927/28, 4. Abhandlung): Kyrios Jesus: eine Untersuchung zu Phil. 2,5-11 — Heidelberg, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.38938#0087
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Kyrios Jesus.

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dieses zum frommen Hüter ewiger Gesetze und Güter für die Welt
und in neuer Weise seine geschichtliche Existenz begründet. Aber
wenn darum die ,,partikularistische“ Tendenz des Judentums sich
verstärken mochte — es ist zum Segen wie zum Fluche geschehen
—, so war immer auch die Möglichkeit eines anderen Weges gegeben.
Denn jene Anschauung fordert immerdar von dem Volk als Ganzem
das Beispiel einer nie getrübten Frömmigkeit und Reinheit; es
ist in der Geschichte niemals gegeben, und Klagen über dieses
Niegegebensein erfüllen fast jede Seite jüdischer Schriften. Darum
konnte sich jene Anschauung gegen dieses Volk selber kehren,
immer reiner und reinlicher die Pflicht der Erfüllung sittlicher
Normen fordern und zugleich immer inbrünstiger das Wunder der
Versöhnung von Gott und Welt oder auch den Schrecken des
Gerichtes ersehnen. Beides ist in jüdischer Paränese und Apokalyp-
tik geschehen und in den bunten und häufig unzusammenhängen-
den Anschauungen vom Geiste oder der Weisheit oder dem Namen
Gottes gleichsam dogmatisch festgelegt. Alle diese verschiedenarti-
gen Formulierungen haben ihren Grund in dem Problem der Ver-
mittlung zwischen Gott und Welt, Gott und Volk, das durch die
Metaphysik zweier Welten aufgeworfen ist.
Aus diesen Zusammenhängen begreift sich die apokalyptische
Gestalt des Menschensohnes. Sie stellt eine, wenn auch vielleicht
abseitige Fösung jenes Problems dar. Mögen die Wurzeln dieser
Menschensohnanschauung auch auf außerjüdischem Boden sich
verlieren, erkennbar scheinen dennoch die Linien, die sie sachlich
mit der jüdischen Frömmigkeit verbinden. Um es ganz kurz zu
formulieren: Gefordert ist die endgültige Herausstellung des Sinnes
von Welt und Geschichte, der Gott selber ist. So kann auch diesen
Sinn nur ein göttliches Wesen verwirklichen, da die Welt wider Gott
steht und Gott in eigenem Reiche unbeirrbar thront. Aber dieser
Sinn von Welt und Geschichte ist auch die Koinzidenz von Gött-
lichem und Menschlichem, von Glaube und Geschichte, von Gnade
und Leiden. So kann es nicht nur ein transzendentes Wesen, son-
dern muß es, um mit den Worten des Philipperpsalmes zu sprechen,
ein ,,Menschenbild“ sein. Und endlich, um die endgültige Verwirk-
lichung dieses Sinnes handelt es sich; deshalb muß der, der diese
Tat vollbringt — sie ist eine Art zweiter Schöpfung der Welt —,
auch „wie Gott“ d. h. „Herr der Welt“ werden.
Diese Gedanken scheinen zwar nirgends im Judentum klar
und rein durchdacht zu sein; vielleicht ist auch nicht mehr mit
 
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