Die römische Kapitalstrafe.
17
wieder das Imperium des Magistrats.1 Er darf den schuldig ge-
sprochenen Bürger verberare und necare, aber er muß es nicht. Es
gibt Gesetze, die ihn zugunsten des angeklagten Bürgers binden;
keines, das seinen Freispruch den Komitien unterbreitet oder den
Verurteilten hinzurichten zwingt. Keine Hinrichtung ohne Ver-
haftung. Die aber steht im pflichtmäßigen Ermessen des Imperiums-
trägers.2 Sicherlich nicht in seiner Willkür. Wie Cicero das Ende des
Staates gekommen sieht, wenn clamnati in integrum restituantur, vincti
solvantur, exules reducantur, res iudicatae rescindantur (in Verr. 5, 12)3,
so konnte der Magistrat den Richterspruch zweifellos nicht einfach
als Luft behandeln und eine Vollbegnadigung gewähren. Aber
oft genug wird die Jahrhunderte hindurch unbeweglich gebliebene
Einsilbigkeit der Kapitalgesetze der allgemeinen Volksstimmung
zuwider gewesen und das primitive Entweder — Oder zwischen Tod
und Straflosigkeit als unerträglich empfunden worden sein. Dann
war nur im Stadium der Exekution zu helfen, und es ist geholfen
worden. Mit Zustimmung des Senats ist die dauernde Verschiebung
der Hinrichtung der Eingesperrten und damit die «Umwandlung
der Todesstrafe in lebenslängliche Haft» vorgekommen.4 Weit
häufiger aber, viel früher und ohne Mitwirkung des Senats hat
man den Verurteilten auf außerrömisches Gebiet entweichen lassen.5
Um so selbstverständlicher konnte der Magistrat vor Fällung des
Urteils von der Untersuchungshaft absehen, deren Verhängung
unstreitig6 ein Akt reiner Koerzition ist und mithin durch tri-
1 Ähnlich, aber zu eng Mommsen 909.
2 Anders Mommsen 961: «Die Exekutionshaft knüpft sich von jeher mit
rechtlicher Notwendigkeit an das Todesurteil». S. auch 913. Beweise sind
nicht vorhanden, nur Gegenbeweise: u. N. 5.
3 Vgl. auch de lege agr. 10. Dazu Mommsen 4822; Costa, Cic. II 1564. —
Immerhin haben auch solche Restitutionen stattgefunden (Mommsen 482 f.), ge-
rade in Ciceros Zeitalter und — späterhin — in Ciceros eigener Person. Wer
wie Rutilius die Rückkehr ablehnt, ne quid adversus leges faceret, verdiente es
schon, von Valerius Maximus in den Memorabilia (6, 4, 4 i. f.) festgehalten zu
werden.
4 Mommsen, Staatsrecht III 10693, 1250h Strafrecht 913\ 9616; Hitzig, RE. III
1578; dagegen Strachan-Davidson I 164 ff., der aber z. B. Val. Max. 6, 3, 3 nicht
beachtet und genötigt ist, Caesars Antrag gegen die Catilinarier auf P. Lentu-
tulum aeternis tenebris vinculisque mandare (Cic. in Catil. 4, 10) von ewiger Unter-
suchungshaft zu verstehen.
5 Vgl. z. B. Liv. 3, 29, 6; 3, 58, 10; 25, 2, 9; 43, 16, 15. Strachan-David-
son II 62 nennt diese Stellen, ohne sie zutreffend zu verwerten; s. auch u. S. 30 b
6 Mommsen 48 f., 71, 299 f., 327.
Sitzungsberichte der Heidelb. Akademie, phil.-hist. Kl. 1930/31. 5. Abh. 2
17
wieder das Imperium des Magistrats.1 Er darf den schuldig ge-
sprochenen Bürger verberare und necare, aber er muß es nicht. Es
gibt Gesetze, die ihn zugunsten des angeklagten Bürgers binden;
keines, das seinen Freispruch den Komitien unterbreitet oder den
Verurteilten hinzurichten zwingt. Keine Hinrichtung ohne Ver-
haftung. Die aber steht im pflichtmäßigen Ermessen des Imperiums-
trägers.2 Sicherlich nicht in seiner Willkür. Wie Cicero das Ende des
Staates gekommen sieht, wenn clamnati in integrum restituantur, vincti
solvantur, exules reducantur, res iudicatae rescindantur (in Verr. 5, 12)3,
so konnte der Magistrat den Richterspruch zweifellos nicht einfach
als Luft behandeln und eine Vollbegnadigung gewähren. Aber
oft genug wird die Jahrhunderte hindurch unbeweglich gebliebene
Einsilbigkeit der Kapitalgesetze der allgemeinen Volksstimmung
zuwider gewesen und das primitive Entweder — Oder zwischen Tod
und Straflosigkeit als unerträglich empfunden worden sein. Dann
war nur im Stadium der Exekution zu helfen, und es ist geholfen
worden. Mit Zustimmung des Senats ist die dauernde Verschiebung
der Hinrichtung der Eingesperrten und damit die «Umwandlung
der Todesstrafe in lebenslängliche Haft» vorgekommen.4 Weit
häufiger aber, viel früher und ohne Mitwirkung des Senats hat
man den Verurteilten auf außerrömisches Gebiet entweichen lassen.5
Um so selbstverständlicher konnte der Magistrat vor Fällung des
Urteils von der Untersuchungshaft absehen, deren Verhängung
unstreitig6 ein Akt reiner Koerzition ist und mithin durch tri-
1 Ähnlich, aber zu eng Mommsen 909.
2 Anders Mommsen 961: «Die Exekutionshaft knüpft sich von jeher mit
rechtlicher Notwendigkeit an das Todesurteil». S. auch 913. Beweise sind
nicht vorhanden, nur Gegenbeweise: u. N. 5.
3 Vgl. auch de lege agr. 10. Dazu Mommsen 4822; Costa, Cic. II 1564. —
Immerhin haben auch solche Restitutionen stattgefunden (Mommsen 482 f.), ge-
rade in Ciceros Zeitalter und — späterhin — in Ciceros eigener Person. Wer
wie Rutilius die Rückkehr ablehnt, ne quid adversus leges faceret, verdiente es
schon, von Valerius Maximus in den Memorabilia (6, 4, 4 i. f.) festgehalten zu
werden.
4 Mommsen, Staatsrecht III 10693, 1250h Strafrecht 913\ 9616; Hitzig, RE. III
1578; dagegen Strachan-Davidson I 164 ff., der aber z. B. Val. Max. 6, 3, 3 nicht
beachtet und genötigt ist, Caesars Antrag gegen die Catilinarier auf P. Lentu-
tulum aeternis tenebris vinculisque mandare (Cic. in Catil. 4, 10) von ewiger Unter-
suchungshaft zu verstehen.
5 Vgl. z. B. Liv. 3, 29, 6; 3, 58, 10; 25, 2, 9; 43, 16, 15. Strachan-David-
son II 62 nennt diese Stellen, ohne sie zutreffend zu verwerten; s. auch u. S. 30 b
6 Mommsen 48 f., 71, 299 f., 327.
Sitzungsberichte der Heidelb. Akademie, phil.-hist. Kl. 1930/31. 5. Abh. 2