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Ernst Levy:
und in einer schmuckvollen Anrede an den Praefectus praetorio,
dessen Tüchtigkeit non solum privatorum, verum etiam publicorum
iudiciorum explorat audoritas (Nov. Val. 2, 2pr. [442]). Je eine Ver-
wendung, die der Entgegensetzung des privaten Schiedsgerichts
dient, begegnet in der Interpretationenliteratur (zum CT. 8, 8, 3)
und im Edictutn Theoderici (12). Das ist alles. — Mit den pu-
blica iudicia aber verlieren sofort auch die capitalia iudicia und
crimina den technischen Wert. Ganz vereinzelt begegnet noch
capitalis res (CT. 8, 5, 14pr. [362]; Interpr. zu CT. 2, 1, 124) und
causa (CJ. 1, 43, 1 [385—389]) oder capitale crimen (CT. 9, 6, 1 [376];
Nov. Val. 19, 2 [445]). Zweifellos wird das im Sinne der kaiser-
lichen Kanzlei von todeswürdigen Verbrechen zu verstehen gewesen
sein1 2: die Interpretatio zur Nov. Val. cit. setzt denn auch lieber
capitali sententia, und die Interpr. zu [Paul.] sent. 5, 35, 1 erläutert
die causa capitalis ihrer Vorlage im Gegensatz zu ihr durch capite
damnari.3 4 Aber von irgendwelcher begriffsgestaltenden Durch-
schlagskraft waren diese sporadischen Redewendungen nicht; sonst
wäre weder die Meinung des Eudoxios zu verstehen noch die Art,
mit der Patrikios die Gegenmeinung rechtfertigt. Man brauchte
die res capitales, den Begriff des Kapitalverbrechens, im Strafrecht
nicht mehr. War er schon vor dem Ausgang der klassischen Epoche
fragwürdig geworden4, so hatte er sich vollends überlebt, seit die
sullanisch-augusteischen Gesetze durch die vielen Einzelnormen
des neuen Kaiserrechts verdrängt waren. Nur soweit er im Privat-
recht und Privatprozeß Wirkungen zeitigte, blieb er unbehelligt,
weil er dort die Tendenz der kaiserlichen Leges nicht gar zu emp-
findlich störte und man an den ehrfurchtgebietenden Block des
bürgerlichen Rechts ja ohnehin nicht ohne Not zu tasten wagte.
Wenn man sich erinnert, wie verschwenderisch die Konsti-
tutionen mit dem Terminus capitalis umspringen, wo immer er in
1 CT. sagt de capite (iudicare).
2 Vgl. auch Jac. Gothofred. zu CT. 8, 5, 14 pr.
3 An die Todesstrafe denkt sicher auch Justinian an den beiden Stellen,
an denen er zwar nicht capitalis, aber die griechische Entsprechung (abgesehen
von der Kapital s t r a f e) verwendet: in C. 6, 4, 4, 8 KecpaÜKpv KOtxriYOpidv,
wo der Zusammenhang auf die oben S. 53f. behandelten Embleme in D. 38, 2,
14, 4; eod. 15 deutet; in C. 9, 4, 6, 4 el pp dpa KeqpaXiKux; ^vayeTai, wozu Ed.
Theod. 152 homicidam capitaliter accusare zu vergleichen ist, s. auch Interpr.
zu CT. 9, 1, 14: quicumque alium de homicidii crimine periculosa vel capitali
obiectione pulsaverit.
4 Ob'. S. 65.
Ernst Levy:
und in einer schmuckvollen Anrede an den Praefectus praetorio,
dessen Tüchtigkeit non solum privatorum, verum etiam publicorum
iudiciorum explorat audoritas (Nov. Val. 2, 2pr. [442]). Je eine Ver-
wendung, die der Entgegensetzung des privaten Schiedsgerichts
dient, begegnet in der Interpretationenliteratur (zum CT. 8, 8, 3)
und im Edictutn Theoderici (12). Das ist alles. — Mit den pu-
blica iudicia aber verlieren sofort auch die capitalia iudicia und
crimina den technischen Wert. Ganz vereinzelt begegnet noch
capitalis res (CT. 8, 5, 14pr. [362]; Interpr. zu CT. 2, 1, 124) und
causa (CJ. 1, 43, 1 [385—389]) oder capitale crimen (CT. 9, 6, 1 [376];
Nov. Val. 19, 2 [445]). Zweifellos wird das im Sinne der kaiser-
lichen Kanzlei von todeswürdigen Verbrechen zu verstehen gewesen
sein1 2: die Interpretatio zur Nov. Val. cit. setzt denn auch lieber
capitali sententia, und die Interpr. zu [Paul.] sent. 5, 35, 1 erläutert
die causa capitalis ihrer Vorlage im Gegensatz zu ihr durch capite
damnari.3 4 Aber von irgendwelcher begriffsgestaltenden Durch-
schlagskraft waren diese sporadischen Redewendungen nicht; sonst
wäre weder die Meinung des Eudoxios zu verstehen noch die Art,
mit der Patrikios die Gegenmeinung rechtfertigt. Man brauchte
die res capitales, den Begriff des Kapitalverbrechens, im Strafrecht
nicht mehr. War er schon vor dem Ausgang der klassischen Epoche
fragwürdig geworden4, so hatte er sich vollends überlebt, seit die
sullanisch-augusteischen Gesetze durch die vielen Einzelnormen
des neuen Kaiserrechts verdrängt waren. Nur soweit er im Privat-
recht und Privatprozeß Wirkungen zeitigte, blieb er unbehelligt,
weil er dort die Tendenz der kaiserlichen Leges nicht gar zu emp-
findlich störte und man an den ehrfurchtgebietenden Block des
bürgerlichen Rechts ja ohnehin nicht ohne Not zu tasten wagte.
Wenn man sich erinnert, wie verschwenderisch die Konsti-
tutionen mit dem Terminus capitalis umspringen, wo immer er in
1 CT. sagt de capite (iudicare).
2 Vgl. auch Jac. Gothofred. zu CT. 8, 5, 14 pr.
3 An die Todesstrafe denkt sicher auch Justinian an den beiden Stellen,
an denen er zwar nicht capitalis, aber die griechische Entsprechung (abgesehen
von der Kapital s t r a f e) verwendet: in C. 6, 4, 4, 8 KecpaÜKpv KOtxriYOpidv,
wo der Zusammenhang auf die oben S. 53f. behandelten Embleme in D. 38, 2,
14, 4; eod. 15 deutet; in C. 9, 4, 6, 4 el pp dpa KeqpaXiKux; ^vayeTai, wozu Ed.
Theod. 152 homicidam capitaliter accusare zu vergleichen ist, s. auch Interpr.
zu CT. 9, 1, 14: quicumque alium de homicidii crimine periculosa vel capitali
obiectione pulsaverit.
4 Ob'. S. 65.