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Brinkmann, Carl; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1931/32, 3. Abhandlung): Der Nationalismus und die deutschen Universitäten im Zeitalter der deutschen Erhebung — Heidelberg, 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.40161#0030
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30

Carl Brinkmann:

kann, so ist im hohen Getriebe der Wissenschaft nicht Wahrheit
die einzige Feder; und Zunftgeist und sonstige Leidenschaft, Wahn
und Vorurteil erregen Erscheinungen, gleich schädlich für Wissen-
schaft, Volkstum und Menschheit. Im Staate zu einem besonderen
Gemeinwesen aneinandergeschlossen, wirken die Lehrer zu ein-
siedlerisch, sind sich bis zum Verirren die Schüler überlassen52, und
es haben die Lehrer ewigen Krieg und die Lerner ewige Fehden.
Das Mißverhältnis einseitiger Gelehrtheit und einseitiger Geschäfts-
verwaltung muß auf hören. Wenn die Wissenschaften auch Himmels-
töchter sind, so müssen sie dennoch auf der Erde wandeln lernen.
Mit jeder Hochschule muß eine Gesellschaft der Wissenschaften
verbunden sein, und dazu Männer gehören, die gerade nicht alle
auf Lehrerstühlen stehen oder dort eingezünftet sind. Bei der
bloßen zünftigen Gelehrtheit verbauert der Gelehrte zu leicht, die
Wissenschaft wird gemeines Tagewerk, der Vortrag gemächliches
Heftoffenbaren, wo jeder Paragraph mit jüdischem Wucher an-
gebracht wird und die Zuhörer endlich ein gedankenloser Nach-
schreiberpöbel werden. Die Zunftgelehrten haben nicht sowohl neu-
gebaut, sondern immerfort das einmal Urbare nachhaltig und neu-
trächtig gehalten, oft aber auch auf immer ausgemergelt. Raum-
macher und Bahnbrecher waren dann immer die Freigelehr-
ten, wie die verstorbenen Bülow53, Herder, Klopstock, Lessing,
Johannes Müller, Schiller, Winckelmann, und die noch leben-
den Arndt, Behrenhorst54, Goethe, Humboldt, Pestalozzi,
Ti-iaer, Schlegel, Voss und Werner zu Freiberg. Auch stehen
die Lehrer noch immer zu lange auf den Lehrerstühlen; wenn sie
nicht mehr vorwärts gehen können, müssen sie mit einer Ehren-
besoldung in den Ruhestand. Gelehrte wollen freilich ungern ins
Altersteil; denn ein gelehrter Zunftmeister ist ein Alleinherrscher,
oft ein Alleinrechthaber, darum halten sie das Entkathedern für
eine Entthronung. Aber ihr Vonobenheruntersterben hemmt den
Fortgang der Wissenschaften. Es ist ein Todeskampf der Gipfel-'
dürren und eine Hungerleiderei der im vollen Wachstum Begrif-
fenen ... Es ist allgemein bekannt, daß die Witzmacherei zu den
gelehrten Bocksbeuteln gehört, daß die Witze hergelesen werden
52 Vgl. die ähnliche und ähnlich aus der scholastischen Universität her-
geleitete Abwertung der „akademischen Freiheit“ in Fichtes Erlanger Vor-
lesungen über das Wesen des Gelehrten (1805) Sämtl. Werke 6, 401 ff.
53 Der Militärschriftsteller A. H. D. v. B. 1757-—1807.
54 Der Militärschriftsteller G. H. v. B. 1733—1814.
 
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