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Brinkmann, Carl; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1931/32, 3. Abhandlung): Der Nationalismus und die deutschen Universitäten im Zeitalter der deutschen Erhebung — Heidelberg, 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.40161#0055
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Der Nationalismus und die deutschen Universitäten.

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Journalistentum der neuen Großstädte zu. In Berlin gelang es
Saul Ascher, der vom jugendlichen Kampf an Mendelssohns
Seite über orientalisierende Modeschriftstellerei allmählich bis zum
geschmacklosen Karikaturisten des „Kabinetts Berlinischer Cha-
raktere“ (1808) gesunken war109, durch eine Schrift über „Die Ger-
manomanie“ Aufsehen zu erregen. Was uns heute an diesem ersten
Pamphlet gegen deutschen Nationalismus interessiert, ist nicht so
sehr das, was den Zorn der zeitgenössischen deutschen Jugend und
noch Treitschkes (D. G. 3, 411) erregte, wie vor allem die hämische
Bemerkung (S. 67), daß „Deutschlands Heere in dem Kampf gegen
Frankreich unterlagen, ehe noch die Juden in ihrer Mitte daran
Teil nahmen“ und „wie folgenreich sie in den Jahren 1813 [ver-
druckt 1812] und 1814 kämpften, als die Juden aus Rußland, Polen,
Österreich und Preußen mit ihnen in Reihe und Glied standen“ —
diese Bemerkung, albern genug angesichts der wenigen Hunderte
jüdischer Mitkämpfer, war natürlich nicht die ernsthafte Inan-
spruchnahme des Sieges für sie, sondern nur die rein dialektisch bos-
hafte Antwort auf Michaelis’ und Rühs’ Ausführungen über die
„Untauglichkeit“ und „Unwürdigkeit“ der Juden zum Heeres-
dienst. Das geistesgeschichtlich Interessante an diesem Pasquill
eines nur sehr oberflächlich Gebildeten110 ist die freche Sicherheit,
mit der hier, vielleicht dem Verfasser selber nur halb bewußt, die
inneren noch mehr als die äußeren Schwächen der jungen deutschen
Volksbewegung getroffen waren. Nachdem er eine modische Theorie
der Kreisläufe vorgetragen hat, „die der Menschheit zum Fortschritt
ihrer Vollkommenheit vorgezeichnet sind“ (S. 5), ruft er: „Die
meisten von diesen noch lebenden Anhängern der neuen Schule,
als Buchholz, Arndt usw„ wollen es jetzt nicht mehr wissen, daß
sie als lebhafte Anhänger der Grundsätze und Ideen sich prokla-
mierten, welche durch die Revolution in Frankreich unter den
Nationen verbreitet wurden“ (S. 8)* * 111. Männer wie Fichte, Jahn
und Adam Müller kurzweg wegen des „rohen abschreckenden
109 Geiger, Berlin 1, 388; 2, 94, 229.
110 Yg'l. S. 27: „Der Deutsche, den die Natur gdeichsam ausersehen zu
haben schien, in sich die vielseitige Kultur aller Zeitalter und Nationen auf-
zunehmen . . . sollte nach den Ansichten dieser deutschen Adepten oder Ger-
manomanen sich plötzlich von allem auswärtigen Einfluß absorbieren[!]“.
111 Er folgt hier nur Kotzebues „Politischen Flugblättern“, die schon
1814 besonders Arndts „französischen Republikanismus“ von früher seinem
jetzigen Franzosenhaß gegenüberstellten, vgl. P. Czygan, Zur Gesch. der
Tagesliteratur während der Freiheitskriege 1 (Lpz. 1911), 122ff.
 
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