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Güntert, Hermann; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1932/33, 1. Abhandlung): Labyrinth: eine sprachwissenschaftliche Untersuchung — Heidelberg, 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.40163#0012
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6

Hermann Güntert:

Kinder in die Schächte und Gänge als Sühnopfer für die Unter-
irdischen hineinzujagen, in deren Bereich man eingedrungen war,
ein Motiv, das dem kultischen kretischen «Beihertanz», wenigstens
teilweise, zugrunde liegen kann und auch in der Minotaurossage
nachklingt.1 Es ist somit leicht verständlich, daß auch andere
mächtige Steinbauten aus alter Zeit «Labyrinth» genannt wurden,
wie das ägyptische Labyrinth, von dem schon Herodot eine selt-
same Beschreibung gibt; es lag vor der Pyramide des Pharaos
Amenemhet III. beim heutigen Hawära im Fajüm und war ein
Totentempel mit einer Menge vieler einzelner Zellen. Neben den
Pyramiden war dies ägyptische Labyrinth das berühmteste Bauwerk
Ägyptens im Altertum. Ferner gab es nach Plinius (nat. hist. 36,
86f.) auch auf Lemnos ein Labyrinth, das durch seinen Säulen-
reichtum das kretische noch übertroffen haben soll: auch hier auf
«ägäischem» Boden wird es eine Ruine von Steinmalen gewesen sein,
wie in Kreta, wo der Knossospalast ja längst schon in Trümmern lag,
als die Sage vom Labyrinth sich bildete. Schließlich ist auch auf
italischem Boden ein Labyrinth bezeugt, das als Grabmal des Königs
Porsenna galt und wieder wegen unterirdischer Gänge berühmt war
(Varro bei Plin. nat. hist. 36, 91 ff.). Man sieht, Beziehungen von
Steinbauten mit den unterirdischen Mächten und dem Totenreich
sind überall vorhanden, wo von einem «Labyrinth» die Rede ist,
und wo wir jetzt diese Zusammenhänge mit Bergwerksschächten,
Totengräbern, Felsgewölben und Steintrümmern ermittelt haben,
ist uns die herrschende Deutung als «Beilhaus» vollends unan-
nehmbar.
5. Aber deshalb braucht die lautlich so ansprechende Ver-
gleichung von Λαβύρινθος mit λάβρος nicht aufgegeben zu werden;
denn es steht nichts im Wege, labru- als «Steinaxt» zu fassen;
hinsichtlich der Bedeutung braucht man nur an germanisch hamar
«Hammer», das im Altnordischen noch die Bedeutung «Stein, Fels»
besitzt und zu slavisch kamenb «Stein» gehört, an germanisch sahs
«Messer» (zu latein. saxum «Fels, Gestein») oder an russisch nozb
«Messer» zu altpreußisch nagis «Feuerstein» zu erinnern. Daß ge-
rade die Doppelaxt sich aus der Steinaxt, nicht aus dem Metallbeil,
entwickelt hat, ist aus mehreren Gründen sicher: einmal aus tech-

1 Vgl. dazu H. Diels Das Labyrinth, Festgabe iür A. von Harnack, 19-24,
66ff'.; Winter Das Labyrinth in Tanz und Spiel, Neue Jahrb. f. Wiss. u. Jugend-
bildg. 5, 1929, 707, Lehmann-Haupt Klio 25, 1932, 172.
 
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