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Schadewaldt, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1933/34, 3. Abhandlung): Die Niobe des Aischylos — Heidelberg, 1934

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https://doi.org/10.11588/diglit.40168#0022
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Wolfgang Schadewaldt

Für die Anlage des Stückes sind die Bemerkungen des Aristo-
phanes grundlegend, nach denen 1. der Chor 'in einer Tour’ vier
Liedreihen stampfte, während Niobe schwieg* 1; 2. der Schwindel des
Aischylos darauf angelegt war, den Zuschauer in Spannung zu
halten, wann Niobe wohl den Mund auftun würde, während in-
zwischen die Handlung ihren Gang nahm, bis sie zur Mitte gediehen
war und Aischylos die Heldin ein Dutzend büffelmäßige Worte
sprechen ließ. Der komische Dichter, der nicht sachgemäß para-
phrasiert, sondern die für den komischen Zweck brauchbaren Mo-
mente aufgreift und ins Groteske wendet, hat offenbar zwei beson-
ders auffällige Züge an dem wirklichen aischyleischen Drama
im Auge: 1. die 'permanenten’ Chöre in Gegenwart der stummen
Person, 2. den sehr späten Bruch des Schweigens, nach dem das
Drama so ziemlich bis zur Mitte gelangt ist2. Vielleicht darf man
den listigen Trick des Schwindlers sogar so interpretieren, daß
Aischylos sich die Erringung des Sieges hei dem ungewitzten Publi-
kum (910) leicht macht, er stellt nur 'Atrappen’ (πρόσχημα τής
τραγωδίας) auf die Bühne, statt die Personen reden und handeln zu
lassen, so wie sich das für ordentliche dramatische Personen gehört;
er hält den Zuschauer durch die Spannung, wann Niobe endlich
einen Laut von sich geben wird, hin und 'hinterzieht’ ihm durch
dieses betrügerische Ablenkungsmanöver die weiterlaufende Hand-
lung. Jedenfalls sieht Aristophanes als die eigentliche Handlung,
die bis fast zur Mitte des Stückes hinausgezögert wird, die
Handlung der Hauptperson an3 *. Daraus ergibt sich, daß die
aischyleisclie Niobe die Parodos hindurch und noch über ein paar
Chorlieder hinweg im Schweigen verharrte, während die Neben-
personen mit dem Chor in zwei bis drei Auftritten verhandeln
mochten. Eben dies hatte Hermann angenommen, wenn er for-
derte, es müsse in einem zweiten Akt ein Bote, wohl ein Hausgenosse
Zerdehnung der Niobehandlung zu einer Trilogie festhielt, die für den heutigen
Leser ein recht seltsames Etwas ist. Daß die mjt Αισχύλου Νιόβης oder ähnlich
zitierten Fragmente einem Einzelstück entstammen und daß auch Aristoteles
Poetik 18 ein Einzelstück vor Augen hat (Körte 265). ist heute wohl keine Frage
mehr, wenn auch noch Wilamowitz a. O. 57 Anm. 1 schwankt.
1 Da Niobe und Achill zusammengefaßt sind, ist, zumal bei dem potenti-
alen Charakter des Satzes, auf die Vierzahl kein Verlaß.
2 Auch '‘Mitte5 wird hier ein weiter Begriff sein.
3 Mit dieser Erklärung, die man wohl dem Recht des komischen Dichters
zur Übertreibung zugutehalten darf, glaube ich die von Körte 264 treffend auf-
gewiesenen Tatbestände ohne so weitreichende Folgerungen deuten zu können.
 
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