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Schadewaldt, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1933/34, 3. Abhandlung): Die Niobe des Aischylos — Heidelberg, 1934

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https://doi.org/10.11588/diglit.40168#0023
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Die Niobe des Aiscliylos

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der Niobe, die Katastrophe berichtet haben und erst in einem
späteren Auftritt habe Niobe der Autorität ihres Vaters Tantalos
gegenüber ihr Schweigen gebrochen (Hermann 46—48). An dieser
Stelle der Zusammenhänge tritt weiterhelfend das neue Papyrus-
fragment ein.
Wenn hier eine Vertraute der Niobe dem Chor die Kata-
strophe, Niobes Gram und dann weiterhin ihr Verschulden schildert,
so ist das eben die von Hermann geforderte 'Botschaft’ eines
'Hausgenossen’1. Wir sehen nun, wie unser früher geführter Nach-
weis, nur eine dritte Person könne die Sprecherin sein, von der
wahrscheinlichen Anlage des Dramas aus bestätigt wird. Der Ex-
positionscharakter dessen, was in dem Fragment berichtet wird,
wie die Tatsache, daß das Auftreten des Tantalos erst für später
erwartet wird, weisen das Fragment zwingend an den Anfang des
Dramas; es mag den Kern des ersten Epeishodion gebildet haben.
Dazu paßt nach den Angaben des Aristophanes allein, daß Niobe
noch schweigt; spräche sie, so wäre man genötigt, wie Körte von
seinen Voraussetzungen aus gefolgert hat, einen seltsam altertüm-
lichen Vorbau von Chorpartien am Anfang des Dramas anzunehmen.
—- Nicht gesichert, aber bestärkt wird Hermanns Annahme, daß
Niobe erst dem Vater gegenüber ihr Schweigen brach. Dies ist schon
an sich wahrscheinlich. Denn der Vater ist einerseits nicht unmittel-
bar von dem Unheil Niobes mitbetroffen, wie etwa Amphion, und
kann ihr also mit gewichtigem Zuspruch entgegentreten. Anderer-
seits ist Niobe ihm am tiefsten und nächsten durch Kindespflicht
und Kindesliebe verbunden. Nun zeigt der Anfang des Fragments,
daß sie in ihrem sonst stummen Schmerz gerade des Vaters gedenkt.
Der Dichter hat also Sorge getragen, die Verbundenheit Niobes
mit dem Vater einzuprägen. Dies wie der Vorverweis auf sein
Kommen 10 f. mußte von vornherein den Hörer auf den Tantalos-
Auftritt gespannt machen, der wohl den Höhepunkt der ganzen
Handlung bildete2.
1 Wie wir jetzt sehen, hat Hermann 47 auch das Platonzitat Fr. 156 -
Pap. 15 f., das er dem TIausgenossen’ gab, an die richtige Stelle gesetzt.
2 Diese Szene will Haupt a. O. 128. 132 auf der unteritalischen Niobe-
Amphore in Neapel (Heydemann Taf. 4. Roscher III 1, 407, Sechan 83),
wiedererkennen. Die Ähnlichkeiten sind in der Tat überraschend. — Wie auf
der Bühne eine Frau, die seit drei Tagen die Speise verweigert und schweigt,
zum Reden gebracht wird, zeigt die erste Phaidra-Szene des euripideischen
Hippolytos. Da für die späteren Tragiker die aischyleische Niobe wohl die
klassische Frauentragödie war, ist es möglich, daß Euripides die entsprechende
 
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