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Schadewaldt, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1933/34, 3. Abhandlung): Die Niobe des Aischylos — Heidelberg, 1934

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https://doi.org/10.11588/diglit.40168#0027
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Die Niobe des Aischylos

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auf die 'barbarische’ Fremdheit des Niobechors an. Lydierinnen
(oder jedenfalls Orientalinnen) können aber nur in Griechen-
land als von weither empfunden werden. Nun sehen wir, daß
der Chor sich im Papyrus das Nähere von Niobes Unheil er-
zählen lassen muß. Das ού γάρ έστε δύσφρονες zeigt ferner eine
gewisse Vertrautheit, die aber nicht so eng ist, daß die Sprecherin
sie mit keinem Worte zu berühren brauchte. Endlich: gerade der
Chor spricht 10 f. von Tantalos’ Kommen. Alle diese Hinweise treffen
sich in der Annahme, daß der Chor aus lydischen Frauen (Diene-
rinnen) besteht, die in Tantalos’ Gefolge als κομισταί der Niobe
übers Meer mitkamen, — ebenso wie auch Eur. Andr. 1268 (oben S. 25
Anm. 1) der Chor der Nereiden als κομιστής für den alten Peleus
dient. Übers Meer kommen auch die Danaiden unter Führung des
Danaos1. Nur hat der Dichter in der Niobe den Tantalos für seinen
späteren Auftritt zurückgehalten, so wie im Prometheus Okeanos
später auftritt als der Okeaniden-Chor2. Die Stimmung der Parodos
mochte in beklommener Erwartung und mitleidsvoller Trauer ge-
halten sein, wie die Parodos von Euripides Alkestis oder der erste
Chor des Hippolytos (121 ff.). Und Fr. 155 gehört wohl in den Mund
der Sprecherin des Papyrus, der der Chor beim ersten Anblick selt-
sam genug vorgekommen sein wird3.
Der Hauptwert des neuen Bruchstücks für unsere Kenntnis der
aischyleischen Niobe ist der, daß es den ersten Teil des Dramas
plastischer hervortreten läßt. Ich fasse die Ergebnisse zusammen
und suche dabei ihren Sicherheitsgrad mit tunlicher Genauigkeit
abzustufen. 1. Für die Handlungsstrecke, während welcher Niobe
schweigt, gewinnen wir nach der Parodos und vor dem Tantalos-
Auftritt mit Sicherheit einen Auftritt zwischen der Vertrauten
1 Auch an die Herkunft des Chors von Euripides Phoinisden ist zu er-
innern; die Euripideischen Bakchen sind unter Dionysos’ Führung von Lydien
gekommen.
2 „Okeanos steht zum Chor der Okeaniden wie Silen zu den Satyrn,
Danaos zu den Danaiden; nur wird die durch diese Analogie nahe gelegte Per-
son der besonderen Aufgabe gemäß anders verwandt“, Wilamowitz, Aisch.
Interpr. 120. Eine weitere Abwandlung und wieder besondere Verwendung
würde der lydische Fürst Tantalos neben dem lydischen Frauenchor bedeuten.
3 Wilamowitz, Aisch. Interpr. 57 Anm. 1 setzt den Handlungsschauplatz
nach Asien, in der Hauptsache weil die Versteinerung am Sipylos der Schluß
des Dramas sein mußte. Ich glaube auch, daß bei Aischylos die Versteinerung
im Hintergrund stand (s. unten S. 30ff.). Aber der Dichter hatte verschiedene
Mittel, um dieses Geschick Niobes für seine Handlung wirksam zu machen, z. B.
eine Götterbotschaft mit Ansage der Zukunft wie im Prometheus.
 
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