Die Niobe des Aischylos
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mann haben darüber gestritten, und die späteren haben sich so oder
so entschieden. Hermann forderte eine Niobe, die nach den ver-
geblichen Versuchen der Ihren, ihr zuzureden, nach dem Bruch des
Schweigens trotzig mit den Göttern haderte (46). Nach Welcker
bleiben ihr, „um würdig zu enden, nur Ergebung und Thränen“
(352). Ich fürchte, Welcker hat auch hier den Aischylos zu sehr
ins Empfindsame, Zarte umgedeutet. Die Hinweise, die unser
Papyrus gibt, sind schwach, aber nicht zu verachten. Wir sehen,
daß Aischylos den Bericht über Niobes Schuld am Anfang des
Stückes einer andern Person in den Mund gelegt hat. Wir werden
also nicht ein Bekenntnis der eigenen Verschuldung im Munde der
Niobe selbst erwarten. Hat man darüber hinaus aber die ganze Be-
deutung jenes Schweigens der Niobe ermessen, so bleibt kaum ein
Zweifel. Aischylos wird schwerlich die unheimliche todesähnliche
Starrheit der Niobe auf geboten haben, wenn er sie in „Ergebung
und Tränen“ enden lassen wollte. Der nächste Abschnitt auf dem
Wege Niobes zur Versteinung kann nur ein starres Trotzen auf das
Recht ihres Schmerzes gewesen sein. Niobe mußte sich auch mit
Worten zu der Starrheit bekennen, die sie mit ihrem nicht endenden
Schweigen bekundet hatte1. Auf den Trotz zielt die wahrscheinlich
richtige Ergänzung des 'Vergehens5 in Vers 10, sowie das Bild, das
sich uns von der Tantalosszene im Umriß abzeichnete. Und wenn
der Sprachstil des Fragments das Niobedrama in die Nähe der ein-
facher gehaltenen aischyleischen Dramen wie Perser und Prome-
theus stellt, so würde die den Tod ertrotzende Niobe die längst er-
kannte Ähnlichkeit der Anlage des Stückes mit dem Prometheus
vollenden2 * *. Dem gefesselt und unbeweglich das Stück beherrschen-
den Titanen entspräche die durch ihren Schmerz an das Grab der
Kinder 'gefesselte5 Niobe. Beide weisen den wohlgemeinten Zu-
spruch besorgter Freunde ab, die sie zur Vernunft und Fügsamkeit
1 Aischylos hat also nicht die vermenschlichende Milderung der Sage
mitgemacht, nach der sich bei Homer II. 24, 612f. die Götter am zehnten Tage
der unbestatteten Toten erbarmen und Niobe, der Tränen müde, wieder Speise
zu sich nimmt. Der Zug, der zur Versteinerung so wenig paßt, daß schon
Aristophanes und Aristarch die Verse 614—617 gestrichen haben, ist wohl von
dem Dichter der Lytra ad hoc für das Niobe-Exemplum eingeführt: so
mit Recht R. Öhlek, Mythologische Exempla, Diss. Basel 1925.
2 Auf Ähnlichkeiten gerade zum Prometheus hatte die Untersuchung
immer wieder geführt. Auf die bis zum Ende trotzende Niobe weist auch die
wichtige, von Reinhardt (22) erkannte Ähnlichkeit mit dem sophokleischen
Aias.
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mann haben darüber gestritten, und die späteren haben sich so oder
so entschieden. Hermann forderte eine Niobe, die nach den ver-
geblichen Versuchen der Ihren, ihr zuzureden, nach dem Bruch des
Schweigens trotzig mit den Göttern haderte (46). Nach Welcker
bleiben ihr, „um würdig zu enden, nur Ergebung und Thränen“
(352). Ich fürchte, Welcker hat auch hier den Aischylos zu sehr
ins Empfindsame, Zarte umgedeutet. Die Hinweise, die unser
Papyrus gibt, sind schwach, aber nicht zu verachten. Wir sehen,
daß Aischylos den Bericht über Niobes Schuld am Anfang des
Stückes einer andern Person in den Mund gelegt hat. Wir werden
also nicht ein Bekenntnis der eigenen Verschuldung im Munde der
Niobe selbst erwarten. Hat man darüber hinaus aber die ganze Be-
deutung jenes Schweigens der Niobe ermessen, so bleibt kaum ein
Zweifel. Aischylos wird schwerlich die unheimliche todesähnliche
Starrheit der Niobe auf geboten haben, wenn er sie in „Ergebung
und Tränen“ enden lassen wollte. Der nächste Abschnitt auf dem
Wege Niobes zur Versteinung kann nur ein starres Trotzen auf das
Recht ihres Schmerzes gewesen sein. Niobe mußte sich auch mit
Worten zu der Starrheit bekennen, die sie mit ihrem nicht endenden
Schweigen bekundet hatte1. Auf den Trotz zielt die wahrscheinlich
richtige Ergänzung des 'Vergehens5 in Vers 10, sowie das Bild, das
sich uns von der Tantalosszene im Umriß abzeichnete. Und wenn
der Sprachstil des Fragments das Niobedrama in die Nähe der ein-
facher gehaltenen aischyleischen Dramen wie Perser und Prome-
theus stellt, so würde die den Tod ertrotzende Niobe die längst er-
kannte Ähnlichkeit der Anlage des Stückes mit dem Prometheus
vollenden2 * *. Dem gefesselt und unbeweglich das Stück beherrschen-
den Titanen entspräche die durch ihren Schmerz an das Grab der
Kinder 'gefesselte5 Niobe. Beide weisen den wohlgemeinten Zu-
spruch besorgter Freunde ab, die sie zur Vernunft und Fügsamkeit
1 Aischylos hat also nicht die vermenschlichende Milderung der Sage
mitgemacht, nach der sich bei Homer II. 24, 612f. die Götter am zehnten Tage
der unbestatteten Toten erbarmen und Niobe, der Tränen müde, wieder Speise
zu sich nimmt. Der Zug, der zur Versteinerung so wenig paßt, daß schon
Aristophanes und Aristarch die Verse 614—617 gestrichen haben, ist wohl von
dem Dichter der Lytra ad hoc für das Niobe-Exemplum eingeführt: so
mit Recht R. Öhlek, Mythologische Exempla, Diss. Basel 1925.
2 Auf Ähnlichkeiten gerade zum Prometheus hatte die Untersuchung
immer wieder geführt. Auf die bis zum Ende trotzende Niobe weist auch die
wichtige, von Reinhardt (22) erkannte Ähnlichkeit mit dem sophokleischen
Aias.