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Tellenbach, Gerd; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1934/35, 1. Abhandlung): Roemischer und christlicher Reichsgedanke in der Liturgie des fruehen Mittelalters — Heidelberg, 1934

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https://doi.org/10.11588/diglit.40170#0026
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20

Gerd Tellenbach:

Reiche noch etwas lesen, annehmen, daß da doch die alte Ideologie
weiterlebte? Ich glaube es nicht. Es liegt Adelmehr meist nichts
anderes vor als Treue gegenüber der römischen Tradition. Auch
der Gehalt der Reichskulturbegriffe dürfte nicht oft mehr ganz der-
selbe gewesen sein wie früher. Von dem Bedeutungswandel, den
pax und securitas erfuhren, wird noch zu sprechen sein. Liberias
Romana, meist zu libertas Christiana variiert, dürfte oft, außer in
dem dargestellten Sinne einer freien christlichen Kulturgemein-
schaft, allgemeiner verstanden worden sein, nämlich als die Christen-
heit, die der Opfertod Christi freigemacht hat. Daneben ist zu
berübksichtigen, daß die alten Worte häufig überhaupt nicht mehr
in ihrer ganzen Tragweite und Differenziertheit verstanden worden
sind, vielmehr nur noch als farblose Formeln oder Umschreibungen
für das imperium oder auch für die Christenheit galten. Doch müs-
sen wir im Auge behalten, daß die historische Bedeutung der oft
mißverstandenen, aber doch noch bestehenden Überlieferung nicht
gering ist. Der römische Reichsgedanke hat in der Liturgie außer-
halb Italiens kaum noch Adel Kraft besessen, aber er war geAvisser-
maßen latent noch Amrhanden und konnte zu günstiger Stunde
wieder eine Renaissance erleben.
Wenn das „römisch“ nicht einfach durch „fränkisch“ oder
„christlich“, der princeps Romani nominis nicht schlechtweg durch
reges nostri ersetzt, sondern bloß ergänzt wird, darf man daraus
schließen, daß der Schreiber des liturgischen Buches seinen Text
den wirklichen staatsrechtlichen Verhältnissen trotz aller Ehrfurcht
anpassen zu müssen meinte. Im insularen Stowe Missal aus der
zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts findet sich im Memento die
Bitte pro imperio Romano bezeichnenderweise ergänzt durch et
omnibus regibus christianis1. Im Karfreitagsgebet für den Monar-
chen heißt es im älteren fränkischen Gelasianum (Vat. Reg. 316),
Avie auch im Sakramentar des südfranzösischen Klosters Gellone,
das im dritten Viertel des 8. Jahrhunderts geschrieben ist, und in
dem von Angouleme, den repräsentativsten Exemplaren des sog.
Gelasianums s. VIII.2, nicht mehr respice ad Romanum benignus
imperium, sondern ad Romanorum (Romanum) sive Francorum
benignus imperium. Meistens aber ist in den fränkischen Meß-
gebeten ausschließlich von Königen und dem fränkischen Reich die
1 G. F. Warner, The Stowe Missal, Henry Bradshaw Society XXXII
(1915), 11.
2 Vgl. u. S. 46 f.
 
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