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Josef Koch Cusanus-Texte: I. Predigten 2/5.
— vor allem im Vergleich mit der scholastischen Literatur des
Mittelalters — ein ganz starkes persönliches Leben in sich; es ist
aber, wenn man von den Briefen absieht, nirgendwo so greifbar wie
gerade in den Predigten. Lefevre hat uns den Einblick in dieses
persönliche Leben nun durch ein Drittes verwehrt: er hat alle Orts-
und Zeitangaben, die die Hss. bieten, beiseite gelassen. Damit be-
raubt er uns gewissermaßen einer Dimension: alle Stücke liegen auf
derselben Ebene. Und doch sind gerade die Predigten ein aus-
gezeichnetes Mittel, die innere Entwicklung des Cu sanus während
dreißig Jahre zu beobachten. So muß man unter allen Umständen
auf die Hss. zurückgehen, mag es sich nun um unedierte oder von
Lefevre nur auszugsweise edierte Stücke handeln1. Uebinger2 hat
bereits 1886 die Neujahrspredigt „Domine, in lumine vultus tui“
von 1440 veröffentlicht; da er das aber an sehr entlegener Stelle
tat, blieb sie unbeachtet. Darum kann man die Veröffentlichung
der Weihnachtspredigt „Dies sanctificatus“ von 1439 durch E. Hoff-
mann und R. Klibansky in diesen Sitzungsberichten3 als den Be-
ginn der wissenschaftlichen Erschließung der Gusanus-Predigten be-
trachten, zumal in ihr bis dahin unbekannte Quellen des Cusanischen
Denkens nachgewiesen wurden. Die vorliegende Untersuchung be-
schäftigt sich zunächst mit zwei grundlegenden Problemen, dem
der handschriftlichen Überlieferung und dem der Datierung. Sie
wendet sich dann der Quellenfrage zu und sucht insbesondere die
Beziehungen des Cu sanus zu Meister Eckhart zu klären.
1 Auch E. Vansteenbergiie, Le Cardinal Nicolas de Cues, Paris 1920,
lehnt Lefevres Excitationes als unzulänglich ab (156) und greift vielfach auf
die Hss. zurück. Abgesehen davon, daß er die Predigten häufig im Verlauf
seines Buches heranzieht, gibt er (154—164) eine recht lebendige Darstellung
der Cusanischen Predigtweise. Der Anhang II (475—482) enthält eine kurze
Übersicht über die handschriftliche Überlieferung und eine chronologische
Liste der Predigten. Diese ist etwas voreilig angelegt worden und enthält
eine ganze Anzahl von Fehlern; vgl. unten Abschnitt II.
2 Eine Predigt des Nicolaus von Cues. Sermo habitus a. 1440 in die
circumcisionis Augustae. Aus der Originalhandschrift des deutschen Cardinais
im Hospital zu Cues mitgeteilt von Dr. Jon. Uebinger, Pastoralblatt für die
Diöcese Ermland 18 (1886), 92—94.
3 Cusanus-Texte. I. Predigten. 1. „Dies sanctificatus“ vom Jahre
1439, Lateinisch und deutsch mit Erläuterungen hrsg. von Ernst Hoffmann
und Raymond Klibansky, Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der
Wissenschaften, Philos.-hist. Kl., Jahrgang 1928/29, 3. Abh., Heidelberg 1929.
Josef Koch Cusanus-Texte: I. Predigten 2/5.
— vor allem im Vergleich mit der scholastischen Literatur des
Mittelalters — ein ganz starkes persönliches Leben in sich; es ist
aber, wenn man von den Briefen absieht, nirgendwo so greifbar wie
gerade in den Predigten. Lefevre hat uns den Einblick in dieses
persönliche Leben nun durch ein Drittes verwehrt: er hat alle Orts-
und Zeitangaben, die die Hss. bieten, beiseite gelassen. Damit be-
raubt er uns gewissermaßen einer Dimension: alle Stücke liegen auf
derselben Ebene. Und doch sind gerade die Predigten ein aus-
gezeichnetes Mittel, die innere Entwicklung des Cu sanus während
dreißig Jahre zu beobachten. So muß man unter allen Umständen
auf die Hss. zurückgehen, mag es sich nun um unedierte oder von
Lefevre nur auszugsweise edierte Stücke handeln1. Uebinger2 hat
bereits 1886 die Neujahrspredigt „Domine, in lumine vultus tui“
von 1440 veröffentlicht; da er das aber an sehr entlegener Stelle
tat, blieb sie unbeachtet. Darum kann man die Veröffentlichung
der Weihnachtspredigt „Dies sanctificatus“ von 1439 durch E. Hoff-
mann und R. Klibansky in diesen Sitzungsberichten3 als den Be-
ginn der wissenschaftlichen Erschließung der Gusanus-Predigten be-
trachten, zumal in ihr bis dahin unbekannte Quellen des Cusanischen
Denkens nachgewiesen wurden. Die vorliegende Untersuchung be-
schäftigt sich zunächst mit zwei grundlegenden Problemen, dem
der handschriftlichen Überlieferung und dem der Datierung. Sie
wendet sich dann der Quellenfrage zu und sucht insbesondere die
Beziehungen des Cu sanus zu Meister Eckhart zu klären.
1 Auch E. Vansteenbergiie, Le Cardinal Nicolas de Cues, Paris 1920,
lehnt Lefevres Excitationes als unzulänglich ab (156) und greift vielfach auf
die Hss. zurück. Abgesehen davon, daß er die Predigten häufig im Verlauf
seines Buches heranzieht, gibt er (154—164) eine recht lebendige Darstellung
der Cusanischen Predigtweise. Der Anhang II (475—482) enthält eine kurze
Übersicht über die handschriftliche Überlieferung und eine chronologische
Liste der Predigten. Diese ist etwas voreilig angelegt worden und enthält
eine ganze Anzahl von Fehlern; vgl. unten Abschnitt II.
2 Eine Predigt des Nicolaus von Cues. Sermo habitus a. 1440 in die
circumcisionis Augustae. Aus der Originalhandschrift des deutschen Cardinais
im Hospital zu Cues mitgeteilt von Dr. Jon. Uebinger, Pastoralblatt für die
Diöcese Ermland 18 (1886), 92—94.
3 Cusanus-Texte. I. Predigten. 1. „Dies sanctificatus“ vom Jahre
1439, Lateinisch und deutsch mit Erläuterungen hrsg. von Ernst Hoffmann
und Raymond Klibansky, Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der
Wissenschaften, Philos.-hist. Kl., Jahrgang 1928/29, 3. Abh., Heidelberg 1929.