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Josef Koch Cusanus-Texte: I. Predigten 2/5.
und welches ihm allein zuhörte, die geheimsten und verborgensten
Wahrheiten mit Nutzen offenbarte, dann möchten sie mir wohl ver-
geben. Denn ich spreche ja zu mehr Leuten, und es steht zu hoffen,
daß es unter ihnen einige gibt, die mehr Verständnis aufbringen
als jenes Weiblein.
Dann wendet er sich der Erklärung des Evangeliums zu; dabei
benutzt er vor allem drei Autoren: Augustinus, Nicolaus von
Lyra und Eckhart. Dieser erklärt in seinem Johannes-Kommen-
tar nur einige Stellen des vierten Kapitels, vor allem das schöne
Wort: ,,Ich habe euch ausgesandt zu ernten, wo ihr nicht gearbeitet
habt; andere haben die Arbeit getan, und ihr seid in ihre Arbeit
eingetreten“. Eckhart benutzt diesen Text, um den Gedanken
des mystischen Leibes Christi in sehr eindringlicher Weise zu ent-
falten. Cusanus übernimmt diese Ausführungen, paraphrasiert
und erweitert sie, um den so wichtigen Gedanken seinen Zuhörern
nahezubringen. Er hat — wie die Concordantia catholica zeigt —
immer für Cusanus eine große Bedeutung gehabt: trotzdem ist
nicht zu bezweifeln, daß er unter dem Eckhartschen Einfluß noch
mehr an Macht gewinnt. Man kann ohne Übertreibung sagen, daß
die Predigten der fünfziger Jahre ganz von dem Gedanken des
corpus Christi mysticum getragen sind.
Sehr bemerkenswert sind endlich einige Stellen der Sermones,
in denen Cusanus zur kirchlichen Verurteilung Meister
Eckharts kritisch Stellung nimmt. Johannes Wenck1
führte in seiner Polemik gegen De Docta Ignorantia einige Sätze
aus dem Trostbuch, den Predigten und dem Genesiskommentar
Eckharts an2, um zu zeigen, daß der von ihm Angegriffene dem-
selben Pantheismus huldige. Nicolaus geht auf diese Sätze in
seiner Apologie3 nicht ein, sondern verteidigt den Meister nur im
allgemeinen gegen den Vorwurf des Pantheismus; er habe nirgend-
wo in Eckharts Schriften gelesen, daß er Gott und das Geschöpf
gleichsetze. Dann legt er unter ausdrücklicher Bezugnahme auf
ihn dar, daß man Gott als das Sein bezeichnen dürfe. In der Epi-
phaniepredigt von 1456, in der er, wie gesagt, Eckharts Auslegung
von Job. 1, 38 ,,Ubi habitas“ weitgehend benutzt und kommen-
1 Vgl. E. Vansteenberghe, Le „De Ignota Litteratura“ de Jean Wenck
de Herrenberg contre Nicolas de Cuse (Beiträge zur Gesell, d. Phil. d. MA.
VIII 6), 1910. 2 a. a. O. 24f. 26. 30.
3 Vgl. Nicolai de Cusa Apologia Doctae Ignorantiae, ed. R. Kli-
BANSKY. 25 f.
Josef Koch Cusanus-Texte: I. Predigten 2/5.
und welches ihm allein zuhörte, die geheimsten und verborgensten
Wahrheiten mit Nutzen offenbarte, dann möchten sie mir wohl ver-
geben. Denn ich spreche ja zu mehr Leuten, und es steht zu hoffen,
daß es unter ihnen einige gibt, die mehr Verständnis aufbringen
als jenes Weiblein.
Dann wendet er sich der Erklärung des Evangeliums zu; dabei
benutzt er vor allem drei Autoren: Augustinus, Nicolaus von
Lyra und Eckhart. Dieser erklärt in seinem Johannes-Kommen-
tar nur einige Stellen des vierten Kapitels, vor allem das schöne
Wort: ,,Ich habe euch ausgesandt zu ernten, wo ihr nicht gearbeitet
habt; andere haben die Arbeit getan, und ihr seid in ihre Arbeit
eingetreten“. Eckhart benutzt diesen Text, um den Gedanken
des mystischen Leibes Christi in sehr eindringlicher Weise zu ent-
falten. Cusanus übernimmt diese Ausführungen, paraphrasiert
und erweitert sie, um den so wichtigen Gedanken seinen Zuhörern
nahezubringen. Er hat — wie die Concordantia catholica zeigt —
immer für Cusanus eine große Bedeutung gehabt: trotzdem ist
nicht zu bezweifeln, daß er unter dem Eckhartschen Einfluß noch
mehr an Macht gewinnt. Man kann ohne Übertreibung sagen, daß
die Predigten der fünfziger Jahre ganz von dem Gedanken des
corpus Christi mysticum getragen sind.
Sehr bemerkenswert sind endlich einige Stellen der Sermones,
in denen Cusanus zur kirchlichen Verurteilung Meister
Eckharts kritisch Stellung nimmt. Johannes Wenck1
führte in seiner Polemik gegen De Docta Ignorantia einige Sätze
aus dem Trostbuch, den Predigten und dem Genesiskommentar
Eckharts an2, um zu zeigen, daß der von ihm Angegriffene dem-
selben Pantheismus huldige. Nicolaus geht auf diese Sätze in
seiner Apologie3 nicht ein, sondern verteidigt den Meister nur im
allgemeinen gegen den Vorwurf des Pantheismus; er habe nirgend-
wo in Eckharts Schriften gelesen, daß er Gott und das Geschöpf
gleichsetze. Dann legt er unter ausdrücklicher Bezugnahme auf
ihn dar, daß man Gott als das Sein bezeichnen dürfe. In der Epi-
phaniepredigt von 1456, in der er, wie gesagt, Eckharts Auslegung
von Job. 1, 38 ,,Ubi habitas“ weitgehend benutzt und kommen-
1 Vgl. E. Vansteenberghe, Le „De Ignota Litteratura“ de Jean Wenck
de Herrenberg contre Nicolas de Cuse (Beiträge zur Gesell, d. Phil. d. MA.
VIII 6), 1910. 2 a. a. O. 24f. 26. 30.
3 Vgl. Nicolai de Cusa Apologia Doctae Ignorantiae, ed. R. Kli-
BANSKY. 25 f.