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3. Verbum caro factum est (n. 6 — 8).

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Heilung sich dem Blick zeigen wollte: es machte sich dazu selbst
sichtbar durch die Annahme sichtbarer Eigenschaften. Bemerke,
daß ein ewiges Wesen kein anderes, ihm gleich ewiges erschaffen
kann; denn es kann nicht zwei oder mehrere ewige Wesen geben.
Daß also die ewige Welt sich selbst als zeitliche geoffenbart oder zu
einer solchen gemacht hat, geschah deshalb, weil sie auf andere
Weise nicht sichtbar werden konnte. Denn die Ewigkeit kann sich
nur in zeitlicher Form offenbaren, wie die Schönheit in sichtbarer
Weise.
7. Nimm als einigermaßen passendes Beispiel hierfür das Buch
der Weisheit. Denn da die Weisheit sich offenbaren wollte, gab sie
ein Buch über sich heraus. Also war in dem Buch der Weisheit
immer die Weisheit, und das Buch selbst ist durch die Weisheit
geworden, und das Buch erkannte die Weisheit nicht, und <doch)
enthält das Buch nur die Weisheit, und zwar auf eine Weise,
wie sie am besten mitteilbar und sinnfällig zu offenbaren ist.
Dennoch ist die Weisheit nicht die Form des Buches, sie bleibt
vielmehr unabhängig in sich.
8. Die Welt ist wie das Buch der ewigen Kunst oder Weis-
heit. Darum hat die Weisheit noch einige zu ihrer Aufnahme be-
fähigte Wesen geschaffen, welche ihr in eigentlicherem Sinne ähn-
lich sind, und das sind die geistbegabten Naturen; so zeigt ja auch
ein Buch, das mit Beweisen arbeitet, die Weisheit heller, als eines,
das schön redet. Und obgleich jene zur Aufnahme der Weisheit so be-
fähigten Wesen ihr selbst zugehören, und die Weisheit sich ganz nah
zu ihnen herabgelassen hat, weil sie zu ihrer Aufnahme befähigt
sind, so haben dennoch jene ihr eigenen Wesen sie selbst nicht auf-
genommen. Bemerke: solange ein Weiser noch weiser sein konnte,
wurde nicht die Weisheit aufgenommen, sondern nur eine Teilhabe
an ihr. Die absolute Weisheit aber, welche die Kunst der Allmacht
ist, ward weder in den Engeln noch in den Menschen noch in den
Propheten so aufgenommen, wie sie wirklich ist. Deshalb blieben
die Werke jener Kunst unvollkommen. Bemerke, wie Christus sagt,
daß „selbst Salomo in all seiner Weisheit“ < nicht gekleidet war wie
eine von den Lilien des Feldes).

20—25. cf. Sermo ,,Lvix jn tenebris lueet“ (V1 62ra—b) n. 3. 7.
21. cf. loh. 1, 11.
23—26. cf. De Docta Ignorantia I c. 3, p. 9, 24—26.
27. Matth. 6, 29; Luc. 12. 27; sapientia] gloria Vulgata.
Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., phil.-liist. Kl. 1936/37. 2. Abh.
 
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