5. Loquimini ad petram (n. 6 — 7).
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erfrischt hatten. Hat der Mensch großen Durst in dem Geist seines
inneren Menschen, so sehnt er sich nach Weisheit. Denn aus der
Liebe, die der Verstand zur ewigen Wahrheit hat, wird er zu er-
staunlichem Eifer entzündet und entflammt und sehnt sich nach
einer Erfrischung wider diesen geistigen Durst.
7. Im Brunnen Jakobs ist Wasser, das mit menschlicher Klug-
heit gesucht und gefunden wurde, und man kann damit die mensch-
liche Philosophie bezeichnen, die man in mühsamer Durchdringung
der Sinneswelt sucht. In dem Worte Gottes aber, das in der Tiefe
des lebendigen Brunnens ist, nämlich der Menschheit Christi, ist
ein Quell zur Erfrischung des Geistes. Und so haben wir hier den
sinnfälligen Brunnen Jakobs, den Brunnen der Vernunft und den
Brunnen der Weisheit. Aus dem ersten Brunnen, der tierischer
Natur und tief ist, trinkt der Vater, die Kinder und das Vieh; aus
dem zweiten, der tiefer ist und an der Grenze der Natur liegt,
trinken nur die „Menschenkinder“, das heißt diejenigen, hei
denen die Vernunft in Blüte steht, und die man Philosophen nennt;
aus dem dritten, der am tiefsten ist, trinken die „Söhne des Aller-
höchsten“, die man Götter nennt und die wahre Gotteslehrer sind.
Christus kann nach seiner Menschheit als der tiefste Brunnen be-
zeichnet werden; singen wir doch: „Du allein hist der Allerhöchste1,
Jesus Christus“. In diesem allertiefsten Brunnen ist der Quell der
Weisheit, der Seligkeit und Unsterblichkeit verleiht. Dieser Brun-
nen wandert, weil er lebendig ist, und er wird müde, wenn er nie-
manden findet, der um das Wasser des Lebens bittet. Der leben-
dige Brunnen trägt den Quell seines Lebens, er ruft die Dürsten-
den zu den Wassern des Heiles, damit sie „mit dem Wasser der
heilsamen Weisheit“ erquickt werden. Und da niemand dies Wasser
kennt, so trägt der Brunnen es selbst zu dem Ort, wo man sinn-
fälliges Wasser sucht, auf daß man beim Suchen dieses Wassers
auch das nichtgesuchte findet. Der lebendige Brunnen sitzt ob
dem toten Brunnen, und während das sinnfällige Wasser gesucht
wird, tut sich das geistige Wasser selbst kund. Jener Brunnen trug
sein Wasser zu dem zweiten Brunnen, nämlich der Synagoge: wenn
die Lehrer sich hier versammelten und, um das buchstäbliche Ver-
ständnis des Gesetzes bemüht, dies aus dem Gesetzbuch schöpften,
dann sollte das geistige Verständnis, das sie nicht gesucht, dabei
sein und sich kund tun. 0 unaussprechliches Erbarmen! Der
1 Im Deutschen gibt es kein Wort, das dieselbe Doppelbedeutung wie
altissimus hätte.
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erfrischt hatten. Hat der Mensch großen Durst in dem Geist seines
inneren Menschen, so sehnt er sich nach Weisheit. Denn aus der
Liebe, die der Verstand zur ewigen Wahrheit hat, wird er zu er-
staunlichem Eifer entzündet und entflammt und sehnt sich nach
einer Erfrischung wider diesen geistigen Durst.
7. Im Brunnen Jakobs ist Wasser, das mit menschlicher Klug-
heit gesucht und gefunden wurde, und man kann damit die mensch-
liche Philosophie bezeichnen, die man in mühsamer Durchdringung
der Sinneswelt sucht. In dem Worte Gottes aber, das in der Tiefe
des lebendigen Brunnens ist, nämlich der Menschheit Christi, ist
ein Quell zur Erfrischung des Geistes. Und so haben wir hier den
sinnfälligen Brunnen Jakobs, den Brunnen der Vernunft und den
Brunnen der Weisheit. Aus dem ersten Brunnen, der tierischer
Natur und tief ist, trinkt der Vater, die Kinder und das Vieh; aus
dem zweiten, der tiefer ist und an der Grenze der Natur liegt,
trinken nur die „Menschenkinder“, das heißt diejenigen, hei
denen die Vernunft in Blüte steht, und die man Philosophen nennt;
aus dem dritten, der am tiefsten ist, trinken die „Söhne des Aller-
höchsten“, die man Götter nennt und die wahre Gotteslehrer sind.
Christus kann nach seiner Menschheit als der tiefste Brunnen be-
zeichnet werden; singen wir doch: „Du allein hist der Allerhöchste1,
Jesus Christus“. In diesem allertiefsten Brunnen ist der Quell der
Weisheit, der Seligkeit und Unsterblichkeit verleiht. Dieser Brun-
nen wandert, weil er lebendig ist, und er wird müde, wenn er nie-
manden findet, der um das Wasser des Lebens bittet. Der leben-
dige Brunnen trägt den Quell seines Lebens, er ruft die Dürsten-
den zu den Wassern des Heiles, damit sie „mit dem Wasser der
heilsamen Weisheit“ erquickt werden. Und da niemand dies Wasser
kennt, so trägt der Brunnen es selbst zu dem Ort, wo man sinn-
fälliges Wasser sucht, auf daß man beim Suchen dieses Wassers
auch das nichtgesuchte findet. Der lebendige Brunnen sitzt ob
dem toten Brunnen, und während das sinnfällige Wasser gesucht
wird, tut sich das geistige Wasser selbst kund. Jener Brunnen trug
sein Wasser zu dem zweiten Brunnen, nämlich der Synagoge: wenn
die Lehrer sich hier versammelten und, um das buchstäbliche Ver-
ständnis des Gesetzes bemüht, dies aus dem Gesetzbuch schöpften,
dann sollte das geistige Verständnis, das sie nicht gesucht, dabei
sein und sich kund tun. 0 unaussprechliches Erbarmen! Der
1 Im Deutschen gibt es kein Wort, das dieselbe Doppelbedeutung wie
altissimus hätte.