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Erläuterungen des Cusanus zur Lehre Eckharts.

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Eleatismus und religiös zu unchristlichem Quietismus führen, be-
gegnet der Prediger mit dem Wort: „Paulus dixit nos in Deo esse
et moveri (Act. 17, 28); nam viatores sumus.“ Dem Eleatismus
stellt er den Grundgedanken Heraklits gegenüber: wir sind Wan-
derer auf einem unendlichen Wege, und dieser Weg ist Gott seihst.
So ist Gott als der unendliche Weg der Ort des Erdenpilgers. Da-
mit ist nun freilich auch der Quietismus überwunden. Aber ist
nicht an seine Stelle etwas viel Unchristlicheres, etwas ganz Er-
schreckendes und den Sinn unseres Daseins sozusagen Vernichten-
des getreten ? Nämlich eine Wanderschaft ohne Ziel und Ende,
eine Wanderschaft um der Wanderschaft willen ?
Wenn ich die Stelle recht verstehe, will Cu sanus mit dieser
Lehre von dem unendlichen Wege der Erdenpilger dasselbe für
unser religiöses Leben sagen, was er mit dem Prinzip „Infiniti et
finiti nulla est proportio“ für das Verhältnis Gottes zum Geschöpf
überhaupt ausdrückt. Der Weg zu Gott ist unendlich; und da
Gott selbst der unendliche Weg ist, so ist damit klargemacht, daß
kein irdisches Mittel und keine menschliche Anstrengung ausreicht,
ihn abzuschreiten. Die Sicherung unserer menschlichen und christ-
lichen Existenz — es geht um nichts Geringeres — ist allein in
Jesus Christus, dem Mensch gewordenen Worte Gottes, gegeben.
Denn er, der das Licht des Lebens ist, zeigt uns nicht bloß den
Weg (denn er ist ja der lebendige Weg selbst), sondern auch das
Ziel (denn er ist die Wahrheit) und gibt uns die Mittel, es zu er-
reichen (denn dazu ist er Mensch geworden). So ist er wirklich
der Ort, wo alle Bewegungen der Natur und Gnade zur Ruhe
kommen.
Zum Schluß noch ein Wort über die innere Struktur der Pre-
digt, und zwar vornehmlich deshalb, weil von hier aus helles Licht
auf das Verhältnis des Cu sanus zu Meister Eckhart fällt. Ich
gehe dabei zuerst auf den zweiten Hauptteil ein, weil hier die
Dinge deutlicher zu sehen sind. Hier wechselt nämlich, wie sowohl
aus dem Text selbst als auch aus unserer Übersicht zu ersehen ist,
die Darstellung der Lehre Eckharts und die Erläuterungen des
Cusanus miteinander ab; bei den Abschnitten 16 und 17 bzw. 18
und 19 ist das besonders deutlich. Die Erläuterungen werden mit
einander sehr ähnlichen Formeln eingeleitet; n. 17: „Hoc mihi
videtur non esse aliud nisi“ etc.; n. 19: „Et mihi videtur, quod
non est aliud dicere“ etc. Worin bestehen nun diese Erläuterun-
gen ? Sie sind nichts anderes als Übersetzungen der Lehren Eck-
 
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