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Honecker, Martin; Johannes; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1937/38, 2. Abhandlung): Nikolaus von Cues und die griechische Sprache — Heidelberg, 1938

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https://doi.org/10.11588/diglit.41994#0073
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Cusanus-Studien: II. Nikolaus von Cues und die griechische Sprache. 65
Wenn nun neuerdings mehrfach gesagt worden ist, Nikolaus
von Cues dürfe als echter Platoniker, als der erste eigentliche Pla-
toniker der neueren Zeit angesprochen werden, so kann das nach
dem Gesagten nicht so zu verstehen sein, als habe der Cusaner die
aus dem Mittelalter überkommene und auch noch in der beginnen-
den Renaissance obwaltende neuplatonische Platoninterpretation
bewußt durchbrochen und sei mit voller Absicht zur Erneuerung
eines reinen Platonismus geschritten. Man wird höchstens sagen
können, Nicolaus Cusanus habe sich tatsächlich in seinem Den-
ken dem ursprünglichen Platonismus wieder genähert oder ihn gar
erneuert. Beides aber — eine bewußte wie eine unbewußte Wieder-
aufnahme des genuinen Platonismus ·— könnte nach den Ergeb-
nissen unserer Untersuchung auf keinen Fall auf ein Platonstudium
an Hand der griechischen Texte zurückgeführt werden180.
180 Die Frage, in welchem Sinne Nikolaus von Cues als „Platoniker“
zu gelten habe, liegt als systemgeschichtliches Problem jenseits der Grenzen
unserer Untersuchung. Da sie jedoch unleugbar gewisse Beziehungen zu
unserem Thema hat, so sei es dem Yerf. gestattet, kurz seinen Standpunkt
anzudeuten; er glaubt übrigens, mit E. Hoffmann (19) in den wesentlichen
Punkten übereinzustimmen.
Der cusanische Platonismus besteht nicht etwa darin, daß Nikolaus von
Cues das gesamte System Platons, sozusagen Satz für Satz, in sein Denken
übernommen hätte. Cusanus ist vielmehr Platoniker in dem anderen Sinne,
daß er eine Anzahl grundsätzlicher und charakteristischer Gedanken Platons
in seinem eigenen Lehrgebäude an konstruktiv wichtigen Stellen verwertet
hat, während seine Philosophie im übrigen durchaus im Zeichen einer christ-
lichen Gesamtorientierung steht. Vergleicht man etwa den cusanischen Plato-
nismus mit dem augustinischen, so sind sie ähnlich und doch ganz verschieden:
ähnlich, insofern es eben platonisches Geistesgut ist, das bei beiden wieder-
auflebt; verschieden, weil es nicht die gleichen platonischen Gedankenmotive
sind, die bei Augustin und bei Nicolaus Cusanus einen eigenartigen Einschlag
christlichen Philosophierens bilden. Der Bischof von Hippo und der deutsche
Kardinal stellen je einen anderen Typ von christlichem Platonismus dar.

5 Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., phil.-hist. Kl. 1987/38. 2. Abh.
 
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