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Hans Frhr. v. Campenhausen
man nämlich annehmen, Petrus sei überhaupt niemals, also auch
nicht nach der Kreuzigung Jesu, ganz an ihm irre geworden. Petrus
hat vielmehr — trotz allem — den „Glauben“ bewahrt und damit
zuletzt auch die übrigen Jünger bestimmt und gewonnen. Dies wird,
noch vor der Ansage der Verleugnung, von Jesus seihst in Form
einer Weissagung angekündigt149. Petrus sieht das drohende Schick-
sal Jesu — Gefangennahme und Tod — bereits klar vor Augen150
und schwört, ihn trotzdem nicht zu verlassen. Jesus, der ihm
das Gegenteil voraussagt, hat ihn aber zugleich auch seiner Für-
bitte versichert, die Petrus in der Sichtungsstunde, die jetzt über
die Jünger kommt, trotzdem im Glauben erhalten wird; sein Glaube
wird nicht „aussetzen“. Das heißt, es wird für Petrus wohl zu ei-
nem menschlichen Versagen und zu einem moralischen Zusammen-
bruch kommen, aber nicht zur völligen Aufgabe des Christus-Glau-
bens seihst. Fiat er sein Versagen bereut, hat er sich wieder gesam-
melt und „bekehrt“, so wird er auch die übrigen Jünger wieder auf-
richten können und „stärken“. Dementsprechend zeigt auch der
Adelsagende Blick, mit dem der Herr Petrus nach seiner Verleug-
nung noch einmal begegnet151, nicht nur beschämende Trauer an,
sondern Jesus hält so, noch im Moment der bittersten Demütigung
und Enttäuschung seines Jüngers, die innere Verbindung mit ihm
fest oder stellt sie, nach der Verleugnung, von neuem her. Petrus
hat sein stolzes Selbstvertrauen und den Glauben an die eigene
Treue verloren; aber den Herrn selbst hat er niemals wirklich ver-
loren: unter den Tränen der Reue darf er ihn wiederfinden.
Ich bin weit davon entfernt, das hier gezeichnete Bild Zug um
Zug für „historisch“ zu halten. Lukas spiegelt in seinem Evange-
lium schon die Petrusverehrung der späteren Gemeinde wider152
und zeigt sich überhaupt bestrebt, auch von den übrigen Jüngern
ein möglichst günstiges, erbauliches Bild zu zeichnen153. Aber die
149 Lk. 24, 31 f. Gegen Bultmanns seltsame Annahme (Tradition S. 287f.), das
Wort habe ursprünglich überhaupt nichts mit der Verleugnungsgeschichte zu tun
gehabt, s. Finegan S. 15 Anm. 2.
150 Die Bereitschaft, dem Herrn καί εις φυλακήν καί εις θάνατον zu folgen, Lk.
22, 33, darf nicht als allgemeine, überschwängliche Redensart genommen werden,
sondern hat der Situation entsprechend durchaus konkreten Sinn; vgl. Joh. 13, 37f.
151 Lk. 22, 61.
152 Hierüber M. Goguel, Did Peter deny bis Lord ? A conjecture, Harv. Tlieol.
Rev. 25 (1925) 1H*.; Strathmann S. 229 ff.
153 Vgl. besonders Lk. 22, 28. Die Erwähnung der γνώριμοι (der gleiche Aus-
druck auch bei Justin ap. I 50, 12, o. Anm. 143) läßt die Frage zum mindesten offen,
ob sie nicht auch bei der Kreuzigung noch zugegen waren.
Hans Frhr. v. Campenhausen
man nämlich annehmen, Petrus sei überhaupt niemals, also auch
nicht nach der Kreuzigung Jesu, ganz an ihm irre geworden. Petrus
hat vielmehr — trotz allem — den „Glauben“ bewahrt und damit
zuletzt auch die übrigen Jünger bestimmt und gewonnen. Dies wird,
noch vor der Ansage der Verleugnung, von Jesus seihst in Form
einer Weissagung angekündigt149. Petrus sieht das drohende Schick-
sal Jesu — Gefangennahme und Tod — bereits klar vor Augen150
und schwört, ihn trotzdem nicht zu verlassen. Jesus, der ihm
das Gegenteil voraussagt, hat ihn aber zugleich auch seiner Für-
bitte versichert, die Petrus in der Sichtungsstunde, die jetzt über
die Jünger kommt, trotzdem im Glauben erhalten wird; sein Glaube
wird nicht „aussetzen“. Das heißt, es wird für Petrus wohl zu ei-
nem menschlichen Versagen und zu einem moralischen Zusammen-
bruch kommen, aber nicht zur völligen Aufgabe des Christus-Glau-
bens seihst. Fiat er sein Versagen bereut, hat er sich wieder gesam-
melt und „bekehrt“, so wird er auch die übrigen Jünger wieder auf-
richten können und „stärken“. Dementsprechend zeigt auch der
Adelsagende Blick, mit dem der Herr Petrus nach seiner Verleug-
nung noch einmal begegnet151, nicht nur beschämende Trauer an,
sondern Jesus hält so, noch im Moment der bittersten Demütigung
und Enttäuschung seines Jüngers, die innere Verbindung mit ihm
fest oder stellt sie, nach der Verleugnung, von neuem her. Petrus
hat sein stolzes Selbstvertrauen und den Glauben an die eigene
Treue verloren; aber den Herrn selbst hat er niemals wirklich ver-
loren: unter den Tränen der Reue darf er ihn wiederfinden.
Ich bin weit davon entfernt, das hier gezeichnete Bild Zug um
Zug für „historisch“ zu halten. Lukas spiegelt in seinem Evange-
lium schon die Petrusverehrung der späteren Gemeinde wider152
und zeigt sich überhaupt bestrebt, auch von den übrigen Jüngern
ein möglichst günstiges, erbauliches Bild zu zeichnen153. Aber die
149 Lk. 24, 31 f. Gegen Bultmanns seltsame Annahme (Tradition S. 287f.), das
Wort habe ursprünglich überhaupt nichts mit der Verleugnungsgeschichte zu tun
gehabt, s. Finegan S. 15 Anm. 2.
150 Die Bereitschaft, dem Herrn καί εις φυλακήν καί εις θάνατον zu folgen, Lk.
22, 33, darf nicht als allgemeine, überschwängliche Redensart genommen werden,
sondern hat der Situation entsprechend durchaus konkreten Sinn; vgl. Joh. 13, 37f.
151 Lk. 22, 61.
152 Hierüber M. Goguel, Did Peter deny bis Lord ? A conjecture, Harv. Tlieol.
Rev. 25 (1925) 1H*.; Strathmann S. 229 ff.
153 Vgl. besonders Lk. 22, 28. Die Erwähnung der γνώριμοι (der gleiche Aus-
druck auch bei Justin ap. I 50, 12, o. Anm. 143) läßt die Frage zum mindesten offen,
ob sie nicht auch bei der Kreuzigung noch zugegen waren.