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Campenhausen, Hans; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1958, 2. Abhandlung): Der Ablauf der Osterereignisse und das leere Grab — Heidelberg, 1958

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https://doi.org/10.11588/diglit.42457#0046
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Hans Frhr. von Campenhausen

mir ein gewisses Vertrauen zu seinen Angaben sinnvoller als die ver-
breitete Neigung, alles, was er und die übrigen Evangelisten bieten, ohne
weiteres preiszugeben und mit allgemeinen Vermutungen und freien Kom-
binationen zu beginnen, die ohne eine Deckung durch die Quellen schließ-
lich doch in der Luft hängen.
Dies gilt zunächst und vor allem für die Frage, wie wir uns die Lage
und Stimmung der Jünger nach der Verhaftung Jesu und seiner Kreuzi-
gung zu denken haben. Hier ist nun als erstes mit allem Nachdruck dies
festzuhalten, daß wir unmittelbare Zeugnisse über ihre damalige Ver-
fassung, kurz vor den entscheidenden Ereignissen, überhaupt nicht be-
sitzen, und daß alles, was darüber gesagt wird, mehr oder weniger auf
Vermutung beruht. Aber nicht nur Lukas, sondern auch Markus und über-
haupt alle Evangelisten stimmen darin überein, daß die Jünger zunächst
in Jerusalem geblieben sind und sich zur Zeit, als das leere Grab entdeckt
wurde, noch in der Stadt befanden. Es besteht nicht der geringste Grund,
an der Richtigkeit dieser Angabe zu zweifeln. Daß die Jünger nach der
nächtlichen Verhaftung Jesu vom Fleck weg geflohen oder auch am Tage
darauf, nach der überlieferten Chronologie also am Rüsttag, oder gar am
Sabbat selbst noch während der Festzeit nach Galiläa zurückgekehrt sein
sollten, ist so unwahrscheinlich wie nur möglich. Auch Markus will natür-
lich nichts Derartiges behaupten, wenn er sagt, alle Jünger seien beim
Tumult der Verhaftung alsbald „geflohen“172, d. h. sie hätten Jesus im
Stich gelassen und sich in Erfüllung der alten Weissagung wie hirten-
lose Schafe „zerstreut“173. Die entgegengesetzte Annahme einer sofortigen
„Flucht“ nach Galiläa ist nichts weiter als eine — allerdings erstaunlich
weit verbreitete — „Legende der Kritik“174, die aus der gesamten Über-
lieferung auch nicht ein Wort für sich anführen kann175. Ihr tritt aller-

172 Mk. 14, 50: xai dcpsvxsg aüxöv ecpuyov jtavxEg. Es ist kein Widerspruch da-
zu, daß Petrus 14, 54 alsbald wieder auftaucht und „von ferne“ dem Herrn
zu folgen sucht. Auch der ungenannte Jüngling, der nach Mk. 14, 51 f. sein
Gewand in den Händen der Häscher zurückließ, wird nicht gerade „nackend“
nach Galiläa gelaufen sein.
173 Das wird bei Matthäus völlig klar, wenn er zur Ankündigung der „Zer-
streuung“ (Sach. 13, 7) bei Markus 14, 27, öxi jtdvxeg axav5cdacri}f|öEaüe, sei-
nerseits 26, 31 verdeutlichend ein sv xfj vuxxl xoruxp hinzufügt. Aber auch
Markus hat keinen weiter reichenden Zeitraum für die „Zerstreuung“ ins
Auge gefaßt.
174 So M. Albertz, Zur Formgeschichte der Auferstehungsberichte, Zeitschr. f.
neutest. Wissensch. 21 (1922) 269; ähnlich Marxsen S. 52; vgl. auch J. Weiss,
Der Erste Korintherbrief (1910) 350, und schon Loofs S. 20ff.
175 Wenigstens kein Wort, das so genommen würde, wie es gegenwärtig vor-
liegt und gemeint ist; vgl. u. Anm. 195. Man könnte für die Jüngerflucht auf
Joh. 16, 32 verweisen wollen, allein zu Unrecht. Die richtige Deutung des
Verses bietet Strathmann, Johannes S. 229: Wollte man die Wendung elg
xd iSia „ganz streng nehmen“, so wäre damit allerdings gesagt, „daß die
 
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